Das LSG Niedersachsen-Bremen hat mit zwei Beschlüssen die Corona-Sonderregelungen des Sozialschutzpakets näher geklärt. Hartz-IV-Empfänger können demnach vorübergehend die Übernahme der vollen Mietkosten auch für neu bezogene Wohnung verlangen, die eigentlich zu teuer sind. Das Jobcenter muss Grundsicherungsleistungen allerdings nicht „sehenden Auges“ zu Unrecht weitergewähren.
Verfahren L 11 AS 508/20 B ER
Ob Hartz-IV-Empfänger in einer zu teuren Wohnung leben und nur die angemessenen Mietkosten übernommen werden, soll durch die Sonderregelungen des Sozialschutzpakets vorübergehend nicht geprüft werden um Corona bedingte Wohnungsverluste zu vermeiden.
In der Sache ging es um eine Familie aus der Region Hannover, die mit damals vier Kindern in einer Vierzimmerwohnung lebte.
Nach der Geburt des sechsten Kindes zog die Familie zum September 2020 in ein Einfamilienhaus mit sechs Zimmern, für das eine monatliche Kaltmiete von 1.300 € zu zahlen war. Das Jobcenter verweigerte die Übernahme der vollen Mietkosten, da die Angemessenheitsgrenze für einen Achtpersonenhaushalt nach üblichen Maßstäben bei 919 € liegt.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Das LSG hat das Jobcenter zur vorübergehenden Übernahme der vollen Mietkosten verpflichtet.
Die neue Regelung des § 67 Abs. 3 SGB II sehe vor, dass in Corona-Zeiten für die Dauer von sechs Monaten keine Prüfung erfolgen solle, ob die von den Leistungsbeziehern für ihre Wohnung zu zahlende Miete zu teuer sei.
Dies gelte nicht nur für seit Langem bewohnte Wohnungen, sondern auch für eine gerade erst neu bezogene zu teure Wohnung.
Darüber hinaus hat das LSG ausgeführt, dass die Regelungen auch Anwendung finde obwohl weder die Hilfebedürftigkeit der Familie noch ihr Umzug direkt auf die Corona-Pandemie zurückzuführen seien. Eine Ursächlichkeit zwischen dem Eintritt der Hilfebedürftigkeit und der epidemischen Lage sei ausdrücklich nicht erforderlich.
Die Norm sei nach der Kommentarliteratur möglicherweise sogar auf exorbitant hohe Mieten bzw. Luxusmieten anwendbar, da es sich um eine unwiderlegbare Fiktion handele. Eine Begrenzung finde aufgrund ihres weitreichenden Wortlautes eben nicht statt.
Aufgrund der zeitlichen Beschränkung des Sozialschutzpakets erfolge die Übernahme der zu teuren Miete allerdings nur vorübergehend, nämlich im konkreten Fall für fünf Monate.
Verfahren L 11 AS 415/20 B ER
Mit dem Sozialschutzpaket hat der Gesetzgeber die Weiterbewilligung von Hartz-IV-Leistungen in Corona-Zeiten vereinfacht, indem er eine abermalige Anspruchsprüfung bis zum Jahresende ausgesetzt hat. Dass diese neue Sonderregelung jedoch nicht grenzenlos gilt, hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) nun aufgezeigt.
Zugrunde lag das Verfahren eines Mannes (geb. 1966) aus dem Landkreis Uelzen, der bereits seit 2013 Hartz-IV bezieht. Er lebt mit seiner Frau in einem Haus, für welches er einen sog. Mietkaufvertrag geschlossen hatte.
Die monatlichen Zahlungen aus diesem Vertrag wurden durch das Jobcenter bisher als Miete berücksichtigt obwohl sie Kaufpreisraten für das Haus darstellten.
Nachdem das Jobcenter Klarheit über die genaue Art der Unterkunftskosten erhalten hatte, verweigerte es die Weiterbewilligung. Demgegenüber verlangte der Mann weitere Leistungen und berief sich darauf, dass Grundsicherungsleistungen aufgrund der Corona-Pandemie von Amts wegen unter Annahme unveränderter Verhältnisse für zwölf Monate weiter zu bewilligen seien.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Das LSG hat zunächst festgestellt, dass die ursprüngliche Leistungsbewilligung fehlerhaft ist. Denn vom Jobcenter sei grundsätzlich nur die Miete zu übernehmen ist. Im vorliegenden Fall dienten die Raten jedoch dem Abtrag des Kaufpreises.
Damit würden sie zu einer Vermögensbildung führen, die vom Jobcenter nicht übernommen werden dürfe.
Es bestehe auch kein Anspruch auf Fortbewilligung der Leistungen aufgrund der Sonderregelungen des Sozialschutzpakets.
Mit der neuen Vorschrift des § 67 Abs. 5 S. 3 SGB II erfolge zwar die Weiterbewilligung von Grundsicherungsleistungen bei bereits seit Längerem im Bezug stehenden Betroffenen unter der Annahme unveränderter Verhältnisse ohne Überprüfung des weiteren Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen.
Diese Vorschrift dürfe jedoch nicht dazu führen, dass ein Jobcenter „sehenden Auges“ Leistungen zu Unrecht gewähren muss.
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 29.09.2020 - L 11 AS 508/20 B ER und Beschl. v. 22.09.2020 - L 11 AS 415/20 B ER
Quelle: LSG Niedersachsen-Bremen, Pressemitteilungen v. 19.10.2020