Ein Versicherter, der wegen Arbeitsunfähigkeit (AU) Krankengeld erhält, muss spätestens am nächsten Werktag nach Ende der zuletzt festgestellten AU deren Fortdauer ärztlich bescheinigen lassen. Krankenkassen dürfen den Krankengeldanspruch aber nicht aus Gründen zurückweisen, die in der Sphäre des Vertragsarztes liegen - wie etwa bei einer Terminverschiebung. Das hat das Hessische LSG entschieden.
Darum geht es
Eine Versicherte aus dem Landkreis Darmstadt-Dieburg, die zunächst Arbeitslosengeld bezog, war im Jahre 2018 arbeitsunfähig geworden und erhielt Krankengeld. Das Ende der bescheinigten AU fiel auf einen Freitag.
Am folgenden Montag telefonierte die Versicherte mit der Arztpraxis wegen eines Termins für den gleichen Tag. Dabei erfuhr sie, dass ihr Arzt in Urlaub sei und sie bei dem Vertretungsarzt erst am Mittwoch vorstellig werden könne. Dieser Arzt bescheinigte der Versicherten fortdauernde AU.
In einem weiteren ähnlich gelagerten Verfahren wurde die im Odenwaldkreis lebende Versicherte telefonisch von ihrem Hausarzt aus organisatorischen Gründen auf einen späteren Termin verwiesen.
Die jeweiligen Krankenkassen lehnten eine weitere Krankengeldzahlung ab, weil die AU nicht lückenlos festgestellt worden sei.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Das Hessische Landessozialgericht gab den beiden Versicherten Recht und verurteilte die Krankenkassen zur Zahlung von Krankengeld für einen Zeitraum von fünf bzw. fast zwölf Monaten.
Zwar müsse die Fortdauer der AU spätestens am nächsten Werktag nach dem Ende der zuletzt festgestellten AU ärztlich bescheinigt werden.
Wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan habe, die ärztliche Bescheinigung zu erhalten, sei jedoch ausnahmsweise eine Bescheinigungslücke unschädlich.
Ein solcher Ausnahmefall liege vor, wenn der rechtzeitig vereinbarte Termin von der Arztpraxis verschoben worden sei.
Gleiches gelte auch dann, wenn die Arztpraxis dem Versicherten nur einen späteren Termin anbiete. Dies sei jedenfalls dann der Fall, wenn der Versicherte bereits am Morgen um einen Termin für den gleichen Tag nachfrage.
Erhalte der Versicherte an diesem Tag dennoch keinen rechtzeitigen Arzttermin, so sei ihm nicht zuzumuten, einen anderen Arzt oder gar den ärztlichen Notdienst aufzusuchen.
Ein „Arzt-Hopping“ sei gesetzlich nicht erwünscht. Ebenso könne von dem Versicherten nicht verlangt werden, dass er sich bereits Tage vorher „auf Vorrat“ um einen Arzttermin bemühe.
Dass der Arzttermin nicht rechtzeitig erfolge, falle in den genannten Konstellationen in die Sphäre des Vertragsarztes und sei damit der Krankenkasse zuzurechnen.
Die Darmstädter Richter verwiesen zudem darauf, dass die AU-Richtlinie missverständlich formuliert sei, da sie den Vertragsärzten - entgegen der gesetzlichen Regelung - ausdrücklich eine zeitlich begrenzte Rückdatierung der AU erlaube.
Eine daraus resultierende Fehlvorstellung von Vertragsärzten sei den Krankenkassen zuzurechnen, da diese als maßgebliche Akteure über den Gemeinsamen Bundesausschuss an der Formulierung der AU-Richtlinie mitwirkten.
Die Revision wurde jeweils nicht zugelassen.
Hessisches LSG, Urteile v. 24.09.2020 - L 1 KR 125/20 und L 1 KR 179/20
Hinweise zur Rechtslage
Für Beschäftigte führt eine verspätete Feststellung der AU lediglich zu einem kurzfristigen Wegfall des Krankengeldanspruchs.
Für Versicherte, deren Mitgliedschaft - wie in den dargestellten Fällen - nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V vom Bestand des Anspruchs auf Krankengeld abhängig ist, konnte dagegen nach der bis zum 10.05.2019 gültigen Rechtslage der Anspruch auf Krankengeld langfristig entfallen, wenn die AU wenige Tage zu spät festgestellt wurde.
Gemäß § 46 Satz 3 SGB V in der ab dem 11.05.2019 gültigen Fassung bleibt der Anspruch auf Krankengeld nunmehr auch dann bestehen, wenn die weitere AU wegen derselben Krankheit nicht am nächsten Werktag, aber spätestens innerhalb eines Monats nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird.
Quelle: Hessisches LSG, Pressemitteilung v. 22.12.2020