Wann sind im Rahmen des „Abgasskandals“ Schadensersatzansprüche gegen die Volkswagen AG verjährt? Das Landgericht Osnabrück hat für ein erst 2019 eingegangenes Verfahren eine Verjährung abgelehnt. Ansprüche sind demnach noch durchsetzbar, weil die rechtliche und tatsächliche Lage 2015 noch weitgehend ungeklärt war und erst später für die Kunden entsprechend erkennbar wurde.
Darum geht es
Im Dezember 2018 erreichte das Landgericht Osnabrück eine Vielzahl von Klagen gegen Fahrzeughersteller wegen der sog. Abgas-Affäre. Besonders im Fokus standen Fahrzeuge aus dem Volkswagen-Konzern.
Doch auch 2019 gingen und gehen weiter in erheblichem Umfang neue Klagen ein. In den meisten Fällen verlangen die Halter betroffener Fahrzeuge den Kaufpreis zurück, den sie für ihr Fahrzeug gezahlt hatten.
Genau so hatte in dem konkreten Verfahren die beklagte Volkswagen AG argumentiert. Sie machte geltend, die gesetzliche Verjährungsfrist von drei Jahren habe Ende 2015 begonnen und sei am 31.12.2018 abgelaufen. Denn im Jahr 2015 seien die u.a. „Dieselproblematik“ bekannten Vorgänge öffentlich geworden.
Man selbst habe im September 2015 die Öffentlichkeit informiert. Ab dann hätte, so die Argumentation, jeder Kunde seine vermeintlichen Ansprüche geltend machen können. Eine 2019 erhobene Klage könne die Ende 2018 bereits eingetretene Verjährung nicht mehr aufhalten.
Anders sah dies der klagende Fahrzeughalter. Er trug vor, betroffene Fahrzeughalter hätten 2015 noch nicht ohne weiteres erkennen können, dass ihnen wegen der Nutzung der vom Kraftfahrtbundesamt beanstandeten Software möglicherweise der Hersteller auf Schadensersatz hafte. Um Schadensersatzansprüche geltend machen zu können, genüge es nicht allein zu wisse, dass die Software rechtlich problematisch sei.
Der Kunde müsse unter anderem auch wissen, dass führende Mitarbeiter der Beklagten dafür verantwortlich seien, dass die Software in Fahrzeugen eingebaut wurde. Das sei 2015 nicht hinreichend klar gewesen.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Das Landgericht Osnabrück gab nun dem Kläger Recht. Der Kläger kann demnach Volkswagen auf Schadensersatz in Anspruch nehmen.
Der ursprüngliche Vertrieb des Fahrzeugs des Klägers durch den Hersteller mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei der Abgasreinigung stellt nach Ansicht des Gerichts eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung dar.
Die Ansprüche des Klägers sind nach dem Gericht auch nicht verjährt. Der Beginn der Verjährung setzt voraus, dass der Kunde ohne weiteres erkennen kann, dass ihm Schadensersatzansprüche gegen den Hersteller zustehen.
Das setzt insbesondere voraus, dass Führungspersonal des Herstellers für den Einsatz der Software verantwortlich gemacht werden könne. Die rechtliche und tatsächliche Lage sei insoweit 2015 aber noch ungeklärt gewesen. Letztlich sei bis heute der Öffentlichkeit nicht bekannt, wer bei der Beklagten über Entwicklung und Einsatz der Software entschieden habe.
Dass dennoch mit Erfolg Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden könnten, habe sich erst später, nach dem Jahr 2015, herauskristallisiert. Die Einrede der Verjährung greife daher bei der im Jahr 2019 erhobenen Klage nicht durch.
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Die Beklagte hat gegen das Urteil Berufung zum OLG Oldenburg eingelegt (Az. 14 U 252/19).
Landgericht Osnabrück, Urt. v. 03.09.2019 - 6 O 918/19
Quelle: Landgericht Osnabrück, Pressemitteilung v. 16.10.2019