Ein EU-Bürger, der nur ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche hat, hat weder Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II („Hartz IV“) noch auf Sozialhilfe nach dem SGB XII. Mit dieser Begründung hat das Sozialgericht Berlin die Klage eines Bulgaren auf Grundsicherungsansprüche abgewiesen. Das Urteil bezieht klar Position gegen die jüngste BSG-Rechtsprechung zu Sozialansprüchen von EU-Bürgern.
Darum geht es
§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) sieht einen Leistungsausschluss für EU-Bürger vor, die nur zur Arbeitsuche in Deutschland sind. Rechtmäßigkeit und Anwendungsbereich dieser Vorschrift sind unter den deutschen Sozialrichtern hoch umstritten. Erst zwei Entscheidungen des EuGH (Rechtssache „Dano“, Urt. v. 11.11.2014 - C-333/13 und Rechtssache „Alimanovic“, Urt. v. 15.9.2015 - C-67/14) stellten klar, dass die Vorschrift mit dem Europarecht vereinbar ist. In mehreren Urteilen entschied das Bundessozialgericht daraufhin, dass arbeitsuchende EU-Bürger zwar keinen Hartz IV-Anspruch hätten, stattdessen aber bei einer „tatsächlichen Aufenthaltsverfestigung“ (nach sechs Monaten) Anspruch auf Sozialhilfe. Diese Rechtsprechung stieß auf teilweise heftige Kritik.
Der 1980 geborene Kläger ist bulgarischer Staatsangehörigkeit und lebt seit 2010 bei seiner Mutter in Berlin. Zumindest bis Ende 2013 ging er keiner Beschäftigung nach. Seinen im Februar 2013 gestellten Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes lehnte das beklagte Jobcenter Berlin Treptow-Köpenick im Herbst 2013 ab. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass der Kläger sich nur zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalte und deshalb von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei. Mit seiner im Dezember 2013 erhobenen Klage machte der Kläger geltend, dass der Leistungsausschluss gegen EU-Recht verstoße.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Das Sozialgericht Berlin hat die Klage abgewiesen. Umstritten sei der Leistungsanspruch von Februar bis Dezember 2013. In diesem Zeitraum habe der Kläger, der - soweit ersichtlich - keine Arbeitsbemühungen entfaltet habe, höchstens eine Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche gehabt. Damit sei er von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen gewesen.
Dieser Leistungsausschluss sei mit dem Europäischen Unionsrecht vereinbar, wie der Europäische Gerichtshof und auch der 4. Senat des Bundessozialgerichts bestätigt hätten. Anders als das BSG entschieden habe, habe der Kläger indes auch keinen Anspruch auf Sozialhilfe, weshalb der Sozialhilfeträger am Prozess auch nicht zu beteiligen gewesen sei. Personen, die - wie der Kläger -dem Grunde nach, also nach ihrem Gesundheitszustand, erwerbsfähig seien, unterfielen nämlich gar nicht dem Regelungsbereich des Sozialhilferechts (vgl. § 21 Satz 1 SGB XII).
Dies habe der Gesetzgeber auch unmissverständlich in seiner Gesetzesbegründung klargestellt. Soweit das BSG meine, sich über diesen eindeutigen Willen des Gesetzgebers hinwegsetzen zu können, sei dies verfassungsrechtlich nicht haltbar. Durch das „Einlegen“ von Regelungszielen in eine Norm, die der Gesetzgeber gerade nicht verfolgt habe, werde die Grenze der richterlichen Gesetzesauslegung überschritten und damit das Prinzip der Gewaltenteilung durchbrochen.
Ein Anspruch des Klägers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ergebe sich auch nicht aus dem Grundgesetz. Bei der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums komme dem Gesetzgeber nämlich ein Gestaltungsspielraum zu. Anders als Asylbewerbern sei es Unionsbürgern regelmäßig möglich, ohne drohende Gefahren für hochrangige Rechtsgüter in ihr Heimatland zurückzukehren und dort staatliche Unterstützungsleistungen zu erlangen.
Der deutsche Staat sei deshalb regelmäßig nur zur Gewährung von Überbrückungsleistungen verpflichtet, welche insbesondere die Übernahme der Kosten der Rückreise und des bis dahin erforderlichen Aufenthaltes in Deutschland erfassten. Derartige Leistungen habe der Kläger vorliegend jedoch nicht begehrt.
Sozialgericht Berlin, Urt. v. 11.12.2015 - S 149 AS 7191/13
Quelle: Sozialgericht Berlin, Pressemitteilung v. 16.12.2015