Wurde dem Kind bereits eine angemessene Ausbildung finanziert, sind die Eltern grundsätzlich nicht verpflichtet, ihm eine weitere Berufsausbildung zu zahlen, wenn das Kind nach Abschluss seiner Ausbildung keine Arbeitsstelle findet. Das hat das OLG Hamm entschieden. Ausnahmen von der Regel, dass nur eine Ausbildung zu finanzieren ist, werden nur unter besonderen Umständen angenommen.
Sachverhalt
Die Antragsgegner – Eltern einer 1991 geborenen Tochter – werden vom antragstellenden Land auf Zahlung von rückständigen Ausbildungsunterhalt in Anspruch genommen, nachdem der Tochter für ein Studium BAföG-Leistungen bewilligt wurden.
Die Tochter der Antragsgegner hatte sich im Alter von 15 Jahren entschieden, Bühnentänzerin zu werden. Nach einer einjährigen Vorbereitungszeit an der Akademie des Tanzes und dem Erwerb der mittleren Reife begann sie nach einem Auswahlverfahren mit dem Studiengang Tanz.
Das Studium schloss sie 2011 mit dem Diplom für Tanz ab. Nachdem sie trotz zahlreicher europaweiter Bewerbungen keine Anstellung als Tänzerin fand, nahm sie 2012/2013 die Schulausbildung wieder auf, erwarb die allgemeine Hochschulreife und begann 2015/16, Psychologie zu studieren. Für dieses Studium erhielt sie BAföG-Leistungen.
Das Familiengericht hat die Eltern zur Unterhaltszahlung verpflichtet. Deren Beschwerde war erfolgreich.
Wesentliche Aussagen der Entscheidung
Eltern schulden ihrem Kind grundsätzlich eine Berufsausbildung, die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes am besten entspricht und sich in den Grenzen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern hält. Wurde dem Kind eine solche Berufsausbildung bereits finanziert, sind sie grundsätzlich nicht mehr verpflichtet, eine weitere Ausbildung bezahlen.
Davon kann nur unter besonderen Umständen abgewichen werden, etwa wenn der Beruf aus gesundheitlichen oder sonstigen bei Ausbildungsbeginn nicht vorhersehbaren Gründen nicht ausgeübt werden kann. Auch kann eine Unterhaltspflicht bestehen, wenn die weitere Ausbildung als eine im engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Erstausbildung stehende Weiterbildung anzusehen ist und von vorneherein angestrebt gewesen ist oder wenn während der ersten Ausbildung eine besondere die Weiterbildung erfordernde Begabung deutlich wird.
Da die Eltern dem Kind im konkreten Fall bereits die abgeschlossene Erstausbildung zur Bühnentänzerin finanziert hatten, wird kein Ausbildungsunterhalt für eine Zweitausbildung geschuldet.
Das von der Tochter begonnene Studium der Psychologie stellt keine Weiterbildung dar, die im Zusammenhang mit der ersten Ausbildung steht. Auch ist nicht ersichtlich, dass die Ausbildung zur Tänzerin nicht ihren damaligen Neigungen und Fähigkeiten entsprochen hat. Denn sie hat schon seit ihrem fünften Lebensjahr Ballett getanzt.
Die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst hat sie bestanden und eine einjährige Vorbereitungszeit absolviert. Sie hat mit Erfolg an einem erneuten Auswahlverfahren teilgenommen und ist zum Studium Tanz zugelassen worden, das sie auch mit einem Diplom abgeschloss. Der Umstand, dass sie keine Anstellung gefunden hat, ist auf eine verschlechterte Arbeitsmarktsituation zurückzuführen.
Folgerungen aus der Entscheidung
Das Risiko der Nichtbeschäftigung ihres Kindes nach Abschluss der geschuldeten Erstausbildung kann nicht den Eltern eines volljährigen Kindes überbürdet werden. Wenn das Kind dann einen weiteren, neuen Ausbildungsweg einschlägt, sind hierfür nicht die Eltern haftbar.
Denn ein volljähriges Kind, das nach Abschluss seiner Ausbildung arbeitslos ist, trifft die Verpflichtung, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen und jede Arbeitsstelle, auch außerhalb des erlernten Berufs, anzunehmen. Etwas anderes gilt nur – wie das OLG darlegt – in eng auszulegenden Sonderfällen, deren Voraussetzungen im Streitfall vom anspruchstellenden Kind geltend gemacht werden müssen.
Praxishinweis
Ausnahmen von der Regel, dass nur eine Ausbildung zu finanzieren ist, werden nur unter besonderen Umständen angenommen,
- wenn der Beruf etwa aus gesundheitlichen oder sonstigen, bei Ausbildungsbeginn nicht vorhersehbaren Gründen nicht ausgeübt werden kann oder
- wenn das Kind von den Eltern in einen seiner Begabung nicht hinreichend Rechnung tragenden Beruf gedrängt wurde oder
- die Erstausbildung auf einer deutlichen Fehleinschätzung der Begabung beruht,
- wenn die weitere Ausbildung zweifelsfrei als eine bloße in engem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehende Weiterbildung zu dem bisherigen Ausbildungsweg anzusehen ist und von vornherein angestrebt war oder
- wenn während der ersten Ausbildung eine besondere, die Weiterbildung erfordernde Begabung deutlich wurde.
Dabei ist die Frage, ob der Erstausbildung des Kindes eine Fehleinschätzung seiner Begabung zugrunde lag, nach den Verhältnissen zu beurteilen, die sich erst nach Beendigung dieser Ausbildung ergeben haben. Zwar ist die Frage der beruflichen Eignung eines Kindes grundsätzlich aus der Sicht bei Beginn der Ausbildung und den zu dieser Zeit zutage getretenen persönlichen Anlagen und Neigungen zu beantworten.
Um eine unangemessene Benachteiligung von sogenannten Spätentwicklern zu vermeiden, gilt dies aber schon dann nicht, wenn sich später herausgestellt hat, dass die zunächst getroffene Entscheidung auf einer deutlichen Fehleinschätzung der Begabung des Kindes beruhte (BGH, Beschl. v. 08.03.2017 – XII ZB 192/16, FamRZ 2017, 799).
OLG Hamm, Beschl. v. 15.05.2018 - 7 UF 18/18
Quelle: Dr. Wolfram Viefhues, weiterer Aufsicht führender Richter am Amtsgericht a.D.