Mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz wurde für den Übergang von Unterhaltsansprüchen der Eltern gegen ihre erwachsenen Kinder auf die Sozialhilfeträger eine Einkommensgrenze von jährlich 100.000 € festgelegt. Das BSG hat klargestellt, dass für einen Pflegekostenrückgriff in einem gestuften Auskunftsverfahren zunächst nur das Einkommen und nicht schon das Vermögen abgefragt werden kann.
Darum geht es
Der Vater des Klägers lebt in einem Seniorenwohnheim und erhält vom Sozialhilfeträger Hilfe zur Pflege. Er ist geschieden und hat neben dem Kläger noch einen weiteren Sohn, der im Jahr 2020 Student war.
Der Sozialhilfeträger erlangte im Internet Informationen über die Arbeitgeberin des Klägers, eine Digitalagentur mit über 100 Mitarbeitern und einem Honorarumsatz im hohen siebenstelligen Bereich, und seine dortige Position als Chief Technology Officer (CTO).
Er teilte dem Kläger mit, es sei davon auszugehen, dass sein Bruttoeinkommen die Grenze von 100.000 € jährlich überschreite und verlangte Auskunft über sein Einkommen und sein Vermögen. Hiergegen wandte sich der Kläger, weil mit den genannten Informationen die gesetzliche Vermutung nicht widerlegt sei und deshalb keine Auskunftspflicht bestehe.
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat den Auskunftsbescheid aufgehoben. Zwar sei die Vermutungsregel des § 94 Absatz 1a Satz 2 SGB XII mit den öffentlich zugänglichen Informationen aus dem Internet widerlegt.
Im sich anschließenden Auskunftsverfahren sei aber ein gestuftes Vorgehen erforderlich: In einem ersten Schritt sei der Sozialhilfeträger lediglich berechtigt, Auskünfte über das zu Bruttojahreseinkommen des potentiell Unterhaltsverpflichteten einzuholen.
Erst wenn auf dieser Grundlage die 100.000-€-Grenze tatsächlich überschritten sei, bestehe in einem zweiten Schritt ein umfassendes Auskunftsrecht, das sich auch auf Vermögen beziehe.
Mit seiner Revision rügt der beklagte Sozialhilfeträger, dass das vom Landessozialgericht geforderte gestufte Auskunftsverfahren im Gesetz keine Stütze finde. Wenn zu vermuten sei, dass die Einkommensgrenze überschritten werde, bestehe auch eine Verpflichtung zur Auskunft über das Vermögen, damit der Sozialhilfeträger den Unterhaltsanspruch umfassend prüfen könne.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Das Bundessozialgericht hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen.
Das Landessozialgericht hat zu Recht angenommen, dass der angegriffene Auskunftsverwaltungsakt die Grenzen der gesetzlichen Ermächtigung zur Einholung von Auskünften gegenüber Angehörigen überschreitet.
Nach der Umgestaltung der Regelung zum Übergang von Unterhaltsansprüchen von Eltern gegenüber ihren erwachsenen Kindern auch wegen Kosten für das Pflegeheim durch das Angehörigen-Entlastungsgesetz ist das vorgeschaltete Auskunftsverfahren gestuft und zunächst nur auf Angaben zum Einkommen beschränkt.
Ein möglicher Unterhaltsanspruch der Eltern gegen ihre erwachsenen Kinder geht auch für die Kosten der Hilfe zur Pflege seit 01.01.2020 erst dann auf den Sozialhilfeträger über, wenn das Einkommen des Kindes einen Jahresbetrag von 100.000 € übersteigt.
Dabei wird gesetzlich vermutet, dass diese Einkommensgrenze nicht überschritten wird; diese Vermutung kann widerlegt werden. Liegen hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze vor, darf der Sozialhilfeträger weiter ermitteln, ob die Grenze tatsächlich überschritten ist.
Dies ist dann der Fall, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für entsprechende Einkommensverhältnisse der Kinder spricht. Verlangt er dabei Auskunft von dem erwachsenen Kind, hat sich diese Auskunft auf das Einkommen zu beschränken.
Erst wenn dann sicher feststeht, dass dieses die 100.000 €-Grenze überschreitet, also ein Übergang des Unterhaltsanspruchs in Betracht kommt, darf er auch Auskunft über das Vermögen des unterhaltspflichtigen Angehörigen verlangen.
Dieses gestufte Vorgehen ist unter Berücksichtigung von Systematik und Entstehungsgeschichte der Regelung geboten.
BSG, Entscheidung v. 21.11.2024 - B 8 SO 5/23 R
Quelle: BSG, Pressemitteilung v. 18.11.2024 und 22.11.2024