Viele Arbeitsverträge schließen Ansprüche aus, wenn sie nicht rechtzeitig geltend gemacht werden. Ausschlussfristen, die das zwingend geregelte Mindestentgelt erfassen, sind aber unwirksam. Das hat das BAG entschieden. Damit wurde die Rechtslage für die v.a. in Formulararbeitsverträgen verbreiteten Klauseln nach dem Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes (MiLoG) klargestellt.
Sachverhalt
Eine Pflegehilfskraft war aufgrund ihres Arbeitsvertrags vom 11.07.2013 in der Zeit vom 15.07.2013 bis zum 15.12.2013 bei einem ambulanten Pflegedienst beschäftigt. Als Vergütung hatten die Parteien 9 € brutto pro Zeitstunde vereinbart. § 22 des Arbeitsvertrags lautet wie folgt:
„Ausschlussfrist bei Geltendmachung von Ansprüchen
(1) Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden. Dies gilt auch für Ansprüche, die während des bestehenden Arbeitsverhältnisses entstehen.
(2) Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruches, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von drei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.“
In der Zeit vom 19.11.2013 bis zum 15.12.2013 war die Arbeitnehmerin arbeitsunfähig krankgeschrieben. Der Pflegedienst hatte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit und leistete keine Entgeltfortzahlung. Nachdem der Arbeitgeber auf die Geltendmachung der Entgeltfortzahlung durch Schreiben vom 20.01.2014 nicht reagierte, erhob die Pflegekraft am 02.06.2014 beim ArbG Braunschweig Klage auf Zahlung von Entgeltfortzahlung für die Zeit vom 19.11.2013 bis zum 15.12.2013.
Zwischen den Parteien ist unstrittig, dass der Geltungsbereich der PflegeArbbV eröffnet ist. Der Arbeitgeber berief sich darauf, dass der Anspruch jedenfalls wegen nicht rechtzeitiger Geltendmachung verfallen sei. Das ArbG Braunschweig hat der Klage mit Urteil vom 12.09.2014 (3 Ca 253/14) stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung hat das LAG Niedersachsen mit Urteil vom 17.09.2015 (6 Sa 1328/14) zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete (zugelassene) Revision hatte vor dem BAG keinen Erfolg.
Wesentliche Aussagen der Entscheidung
Die Pflegehilfskraft hat nach § 3 Abs. 1 EntgFG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den durch die Arbeitsunfähigkeit bedingten Arbeitsausfall im Zeitraum vom 19.11.2013 bis zum 15.12.2013. Die Klägerin musste den Zahlungsanspruch nicht innerhalb der arbeitsvertraglich vorgesehenen Fristen geltend machen. Bei der Klausel des § 22 des Arbeitsvertrags handelt es sich um AGB. Die Beklagte hat die Klausel nach Inkrafttreten der PflegeArbbV gestellt. Die Klausel verstößt gegen § 9 S. 3 AEntG und ist deshalb unwirksam. Der Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV ist deshalb nicht wegen Versäumung der vertraglichen Ausschlussfrist erloschen. Die Aufrechterhaltung der Klausel für andere Ansprüche steht das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB entgegen.
Folgerungen aus der Entscheidung
Bei dem Anspruch auf Entgeltfortzahlung, den die Klägerin geltend macht, handelt es sich nicht um einen Anspruch auf Mindestentgelt i.S.v. § 2 Abs. 1 PflegeArbbV. Anspruchsgrundlage sind allein § 3 Abs. 1 S. 1 EntgFG i.V.m. § 4 Abs. 1 EntgFG und das Entgeltausfallprinzip (so schon BAG, Urt. v. 13.05.2015, 10 AZR 191/14).
Regelungsgegenstand des § 9 AEntG ist – im vorliegenden Fall – ausschließlich der entstandene Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV. Nach § 9 S. 3 AEntG können Ausschlussfristen für die Geltendmachung des Anspruchs auf das Mindestentgelt ausschließlich in dem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag oder dem der Rechtsverordnung nach § 7 AEntG zugrundeliegenden Tarifvertrag geregelt werden; die Frist muss mindestens sechs Monate betragen. Die vereinbarte Ausschlussklausel verstößt ganz offensichtlich gegen diese gesetzliche Regelung. Streitentscheidend ist damit die Beantwortung der Rechtsfrage, ob die Klausel des § 22 Arbeitsvertrag hinsichtlich anderer Ansprüche als derjenigen auf das Mindestentgelt aufrechterhalten werden kann. Diese Frage hat das BAG verneint.
Anders als Ausschlussklauseln, die sich nach dem Wortlaut auf unabdingbare Ansprüche aus Vorsatzhaftung nach §§ 202, 276 Abs. 3 BGB erstrecken (vgl. BAG, Urt. v. 20.06.2013, 8 AZR 280/12; BAG, Urt. v. 13.03.2013, 5 AZR 954/11; BAG, Urt. v. 18.08.2011, 8 AZR 187/10; BAG, Urt. v. 25.05.2005, 5 AZR 572/04), kann die Klausel des § 22 Arbeitsvertrag nicht dergestalt ausgelegt werden, dass Ansprüche auf das Mindestentgelt gar nicht erfasst werden sollen. Dann kommt man notwendigerweise zu dem Ergebnis, dass § 22 Arbeitsvertrag wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt und deshalb unwirksam ist.
Praxishinweis
Bisher hat das BAG sämtliche dogmatischen Erwägungen, die zu Branchenmindestlöhnen nach AEntG angestellt wurden, auf den gesetzlichen Mindestlohn nach MiLoG übertragen. Ausschlussklauseln, die sich auf den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nach § 1 Abs. 1 MiLoG erstrecken, sind gem. § 3 S. 1 MiLoG unwirksam. Sie sind nicht teilbar, womit auch der Verfall sämtlicher weiterer Ansprüche ausgeschlossen ist.
Sämtliche Formulararbeitsverträge aus der Zeit nach Inkrafttreten des MiLoG am 16.08.2014, die eine allgemeine Ausschlussklausel enthalten, müssen unverzüglich angepasst werden, wenn die Vertragsparteien auf eine Ausschlussklausel Wert legen. Altverträge aus der Zeit vor Inkrafttreten des MiLoG müssen m.E. unter Vertrauensschutzgesichtspunkten so ausgelegt, dass sie sich nicht auf Ansprüche auf den gesetzlichen Mindestlohn erstrecken.
BAG, Urt. v. 24.08.2016 - 5 AZR 703/15
Quelle: Rechtsanwalt und FA für Arbeitsrecht Dr. Martin Kolmhuber