Ein Unterhaltsanspruch kann schon vor Eintritt der Verjährung und während der Hemmung verwirkt sein. Durch bloßes Unterlassen der Geltendmachung des Unterhalts oder der Fortsetzung einer begonnenen Geltendmachung tritt aber keine Verwirkung ein. Das hat der BGH entschieden. Die Entscheidung hat auch Auswirkungen auf die Frage der Verwirkung von titulierten Unterhaltsansprüchen.
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten um rückständigen Kindesunterhalt. Nach einer Aufforderung vom 14.07.2011 erteilte der Antragsgegner am 26.07.2011 Auskunft. Er errechnete im Oktober 2011 eine auf ihn entfallende Unterhaltsquote von 129 € und forderte den Antragsteller zur Bestätigung auf, worauf dieser nicht reagierte. Er zahlte dreimal 140 €. Erstmals mit Schreiben vom 19.08.2013 bezifferte der Antragsteller seinen Anspruch auf 205 €. Diese Forderung wies der Antragsgegner am 27.08.2013 zurück.
Gegen einen im Dezember 2014 beantragten und im Januar 2015 erlassenen Mahnbescheid hat der Antragsgegner Widerspruch eingelegt und die im Januar 2015 angeforderte zweite Gebührenhälfte im Juli 2015 gezahlt. Die Anspruchsbegründung hat er im Januar 2016 eingereicht.
Das AG hat den Antragsgegner zur Zahlung des Unterhaltsrückstands verpflichtet. Das OLG hat den Antrag wegen Verwirkung abgewiesen.
Wesentliche Aussagen der Entscheidung
Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg. Eine Verwirkung von Unterhaltsrückständen kommt in Betracht, wenn der Berechtigte sein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre, und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde.
Von einem Unterhaltsgläubiger, der lebensnotwendig auf Unterhaltsleistungen angewiesen ist, muss eher als von einem Gläubiger anderer Forderungen erwartet werden, dass er sich zeitnah um die Durchsetzung des Anspruchs bemüht. Daher ist in diesen Fällen das sog. Zeitmoment der Verwirkung i.d.R. erfüllt, wenn die Rückstände Zeitabschnitte betreffen, die etwas mehr als ein Jahr zurückliegen.
Zum reinen Zeitablauf müssen jedoch besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen (Umstandsmoment).
Dieser Vertrauenstatbestand kann nicht durch bloßen Zeitablauf geschaffen werden. Bloßes Unterlassen der Geltendmachung des Anspruchs kann daher für sich genommen kein berechtigtes Vertrauen des Schuldners auslösen. Dies gilt auch für die von diesem unterlassene Fortsetzung einer bereits begonnenen Geltendmachung.
Auch wenn der Gläubiger davon absieht, sein Recht weiter zu verfolgen, kann dies für den Schuldner nur dann berechtigterweise Vertrauen auf eine Nichtgeltendmachung hervorrufen, wenn das Verhalten des Gläubigers Grund zu der Annahme gibt, er werde den Unterhaltsanspruch nicht mehr geltend machen, insbesondere weil er seinen Rechtsstandpunkt aufgegeben habe. Hier fehlt es am Umstandsmoment.
Dass der Antragsteller den Anspruch entgegen seiner Ankündigung nach der Auskunftserteilung durch den Antragsgegner - zunächst - nicht bezifferte, ließ einen entsprechenden Rückschluss auf die künftige Nichtgeltendmachung noch nicht zu. Zu der Annahme, der Antragsteller sei nach der Auskunftserteilung selbst davon ausgegangen, ein Unterhaltsanspruch bestehe nicht, bestand für den Antragsgegner keine Veranlassung.
Er ist dementsprechend zunächst selbst nicht davon ausgegangen, er müsse keinen Unterhalt zahlen, denn er berechnete seinerseits den Unterhalt und leistete drei Zahlungen. Die übrigen Umstände bestehen schließlich nur im Unterlassen der weiteren Geltendmachung des Unterhalts. Dadurch allein konnte ein berechtigtes Vertrauen des Antragsgegners nicht begründet werden.
Folgerungen aus der Entscheidung
Die Verwirkung des Unterhaltsrückstandes greift nur dann, wenn neben dem Zeitmoment auch das Umstandsmoment erfüllt ist. Hier betont der BGH noch einmal, dass die bloße Untätigkeit des Gläubigers nicht ausreicht. Erforderlich ist vielmehr, dass der Schuldner aufgrund konkreter vom Gläubiger gesetzter Verhaltensweisen berechtigterweise davon ausgehen kann, „es werde nichts mehr kommen“.
Diese Entscheidung hat auch Auswirkungen auf die Frage der Verwirkung von tituliertem Unterhalt. Der BGH hat in der zitierten Entscheidung vom 9.10.2013 (XII ZR 59/12) deutlich gemacht, dass der Schuldner bei einem gegen ihn ergangenen Titel damit rechnen muss, dass der Gläubiger 30 Jahre lang vollstrecken will und daher aus der bloßen Nichtgeltendmachung der Forderung kein Vertrauenstatbestand im Sinne des Umstandsmoment des Verwirkungstatbestandes erwachsen kann.
Die weit verbreitete Ansicht, der Gläubiger des titulierten Anspruchs müsse durch aktive Maßnahmen (wie z.B. regelmäßige Vollstreckung) die Verwirkung verhindern, ist angesichts der aktuellen Entscheidung des BGH nicht mehr haltbar. Denn wenn bloße Untätigkeit eine nicht titulierte Forderung schon nicht verwirken lässt, muss dies erst recht bei einem titulierten Unterhaltsanspruch gelten.
Praxishinweis
Der BGH betont weiter, dass eine Verwirkung auch während der Hemmung der Verjährung eintreten kann. Zu beachten ist allerdings stets, dass der Unterhaltsberechtigte dem Unterhaltspflichtigen durch sein Verhalten Anlass gegeben haben muss, auf die künftige Nichtgeltendmachung von Unterhaltsansprüchen zu vertrauen, wofür jedenfalls ein bloßes Unterlassen nicht ausreicht.
BGH, Beschl. v. 31.01.2018 – XII ZB 133/17
Quelle: Dr. Wolfram Viefhues