Wen ein Testament als Erben vorsieht, kann sich auch erst aus einer ergänzenden Auslegung ergeben. Dies dient dazu, vom Erblasser eigentlich ungewollte Lücken im Testament zu schließen. Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass eine ergänzende Testamentsauslegung ergeben kann, dass nach einer Insolvenz der nachfolgende Betreiber des Geschäftsbetriebs eines Vereins Erbe wird.
Sachverhalt
Der Erblasser verstarb im Jahr 1995 kinderlos und ledig. Seine Eltern waren vorverstorben. Die einzige Angehörige war seine Schwester. Im Jahr 2004 errichtete der Erblasser ein notarielles Testament in dem er wörtlich u.a. wie folgt bestimmte: „Zu meinem Alleinerben berufe ich das Tierheim … Kleve e.V., … in … Kranenburg-Mehr. Einen Ersatzerben möchte ich für den Fall des Erlöschens des Vereins vorerst nicht bestimmen.“
Über das Vermögen des Tierheim „… Kleve e.V. “ wurde im Jahr 2013 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der hier beteiligte Insolvenzverwalter übertrug mit Kauf- und Übernahmevertrag zur Fortführung des Geschäftsbetriebes „im Wege einer übertragenen Sanierung“ das Inventar des Tierheims, sämtliche Tiere und sämtliche Arbeitsverhältnisse auf den neuen Betreiber des Tierheims. Die Auflösung des Tierheims wurde ins Vereinsregister eingetragen.
Das Nachlassgericht erteilte auf dessen Antrag hin dem neuen Betreiber des Tierheims einen Erbschein, der ihn als Alleinerben auswies. Hiergegen wandte sich der Insolvenzverwalter und beantragte die Einziehung des Erbscheins und die Erteilung eines Erbscheins zu seinen Gunsten.
Das Nachlassgericht wies die Anträge jedoch zurück. Es ist der Ansicht, dass der Erblasser den jeweiligen Betreiber des Tierheims als Erben einsetzen wollte und nicht das Tierheim – unabhängig vom Betrieb des Tierheimes. Hiergegen legte der Insolvenzverwalter Beschwerde ein. Das Nachlassgericht half der Beschwerde nicht ab und legte sie dem OLG Düsseldorf zur Entscheidung vor.
Wesentliche Aussagen der Entscheidung
Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde hatte in der Sache jedoch keinen Erfolg. Auch nach Ansicht des OLG Düsseldorf war der dem neuen Betreiber des Tierheims erteilte Erbschein richtig und daher nicht einzuziehen.
Zunächst stellte das OLG klar, dass das Testament schon deswegen auslegungsbedürftig ist, weil der Erblasser schon vor der Insolvenz nicht die Anschrift des Betreibers des Tierheims, sondern die Anschrift des Tierheims selbst in seinem Testament nannte. Hinzu kommt, dass nach Errichtung des Testaments der Betreiber des Tierheims insolvent wurde.
Insbesondere den letzten Umstand hatte der Erblasser bei der Errichtung des Testaments nicht berücksichtigt bzw. bedacht. Es sei dem Erblasser nach Zeugenaussagen immer nur darauf angekommen, die Tiere im Tierheim zu unterstützen. Über das Problem der Trägerschaft hatte er nach Zeugenaussagen lebzeitig nie gesprochen.
Aus diesem Grund war das Testament einer ergänzenden Testamentsauslegung insofern zugänglich, als der Erblasser sein Erbe den im Tierheim lebenden Tieren zugutekommen lassen wollte. Wird Vermögen juristischen Personen zugewendet, will der Erblasser regelmäßig nicht die juristische Person um ihrer selbst willen, sondern jenen Zweck fördern, dem diese juristische Person dient. Nimmt daher eine andere juristische Person dieselben Aufgaben wahr, entspricht es i.d.R. dem Erblasserwillen, dass diese Zuwendungsempfängerin sein soll.
Weiterhin spielt es nach dem OLG auch keine Rolle, dass das Tierheim nicht erloschen sondern lediglich aufgelöst wurde. Ebenso ist nicht nachteilig, dass der hier erbende neue Betreiber des Tierheims zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung noch gar nicht existiert habe. Schließlich zeigt auch die testamentarische Anordnung zum Ersatzerben, dass sich der Erblasser gerade keine Gedanken über einen Trägerwechsel beim Tierheim Gedanken gemacht hatte.
Folgerungen aus der Entscheidung
Die ergänzende Auslegung dient dazu, vom Erblasser eigentlich ungewollte Lücken im Testament zu schließen. Voraussetzung ist also, dass es zwischen der Errichtung des Testaments und dem Erbfall sachliche oder rechtliche Veränderungen gegeben hat, die der Erblasser zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung nicht bedacht hatte (nachträgliche Lücke). Allgemein anerkannt ist zudem, dass auch eine schon anfangs vorhandene Lücke im Testament durch ergänzende Auslegung geschlossen werden kann (ursprüngliche Lücke).
Die Lücke muss zudem planwidrig bzw. vom Erblasser nicht gewollt (gewesen) sein. Der Erblasser muss die Lücke schlicht übersehen haben.
Liegt eine solche unbedachte Lücke vor, ist diese durch den durch Auslegung zu ermittelnden hypothetischen Erblasserwillen zu schließen. Der Auslegende hat sich in die Denkweise, Motivationen und Zielsetzungen des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentsgestaltung hineinzuversetzen und den Willen zu ermitteln, den der Erblasser zum Ausdruck gebracht hätte, wenn er die Veränderung bzw. die Lücke vorhergesehen bzw. bedacht hätte.
Praxishinweis
Grundsätzlich ist gem. § 352e Abs. 1 FamFG ein Erbschein zu erteilen, wenn das Nachlassgericht die zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Die Entscheidung ergeht durch Beschluss. Der Beschluss wird mit Erlass wirksam. Einer Bekanntgabe des Beschlusses bedarf es nicht.
Widerspricht der Beschluss dem erklärten Willen eines Beteiligten, ist er gem. § 352e Abs. 2 FamFG den Beteiligten bekannt zu geben. Das Gericht hat in diesem Fall die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses auszusetzen und die Erteilung des Erbscheins bis zur Rechtskraft des Beschlusses zurückzustellen. Ist der Erbschein bereits erteilt, ist die Beschwerde gegen den Beschluss gem. § 352e Abs. 3 FamFG nur noch insoweit zulässig, als die Einziehung des Erbscheins beantragt wird.
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.01.2017 - I-3 Wx 257/16
Quelle: Rechtsanwalt Ralf Mangold