Wenn ein Vater seinen Sohn enterbt, dann kann dessen Nachkomme einen Pflichtteilsanspruch haben. Das hat das OLG Hamm entschieden. Im Streitfall hatte der Erblasser seinen Sohn enterbt und ihm wirksam den Pflichtteil entzogen. Dieser Pflichtteilsentzug erstreckt sich aber nicht ohne weiteres auf den Enkel des Erblassers. Dieser kann dann einen Pflichtteilsanspruch gegen die Erben geltend machen.
Sachverhalt
Der Enkel E. ist 1996 geboren. Sein 1939 geborener und 2011 vorverstorbener Großvater G. hat die Erbin H., Lebensgefährtin des Erblassers, und den B., Bruder des Erblassers, als seine Erben zu ½ bestimmt. Der Erblasser hatte zwei Söhne, den 1969 geborenen und 1990 kinderlos verstorbenen N. und den 1964 geboren M., Vater des E. M. hatte kurz nach der Geburt des E. die Vaterschaft anerkannt, weitere Kinder hatte er nicht. M. wurde 1986 zu einer Freiheitsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung am Erblasser verurteilt. Dieser hatte 1989 notariell testamentarisch H. und B. als Erben zu je ½ eingesetzt.
Die Söhne hatte er ausdrücklich enterbt und ihnen den Pflichtteil gem. §§ 1938, 2333 BGB (die er im Testament zitiert hatte) entzogen. Er gab die Rauschgiftsucht der beiden Söhne und ihre dauerhaften, laufenden Straftaten an, insbesondere die Verurteilung des Sohnes M. wegen der an ihm selbst begangenen Körperverletzung. Die Erben veräußerten den Nachlass und erhielten daraus erhebliche Erlöse. M. beantragte Prozesskostenhilfe zur Durchsetzung seines Pflichtteilsanspruchs. Diese wurde versagt, weil M. der Pflichtteil wirksam entzogen sei. M. blieb danach untätig.
E. reichte im Dezember 2014 für seinen (eigenen) Pflichtteilsanspruch Stufenklage gegen die Erben ein. Maßgebliche Verteidigung der Erben war ein Hinweis auf das Leben des M. mit zahlreichen Frauen, die wiederum zahlreiche Partner hatten. Sie bestritten, dass es sich bei dem Enkel E. um den Enkel des Erblassers handelte. In erster Instanz hat dieser eine Geburtsurkunde im Original vorgelegt, die die Anerkennung der Vaterschaft durch M. beinhaltete.
Durch Teilurteil sind H. und B. zur Auskunft über den Nachlass und zur Vorlage eines Nachlassverzeichnisses verurteilt worden. Die Erben legten hiergegen erfolglos Berufung ein. Einige Monate später bezifferte E. seine Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche auf rund 930.000 € und forderte im Rahmen der Leistungsstufe die Zahlung von den Erben.
Mit Schlussurteil Anfang 2017 gab das LG der Klage fast vollständig statt. Es berief sich auf die Geburtsurkunde des E.: Nach § 2309 BGB sei dieser als entfernterer Abkömmling pflichtteilsberechtigt, wenn der ursprüngliche Abkömmling rechtswirksam nach §§ 2333 Abs. 1 Nr. 2, § 2336 Abs. 1 BGB den Pflichtteil verloren habe. Das war hier der Fall.
Nur B. hat hiergegen Berufung eingelegt. Er meint, die Geburtsurkunde sei nicht ausreichend zum Nachweis der Vaterschaft, da der Erblasser erklärt hatte, der Sohn M. hatte auf der Straße gelebt, als der E. gezeugt und geboren worden sei. Auch die Mutter des E. habe obdachlos gelebt und mit zahlreichen anderen Männern verkehrt. M. habe die Vaterschaft auch nur auf Druck des Erblassers anerkannt, das Berufen hierauf durch E. sei rechtsmissbräuchlich.
Wesentliche Aussagen der Entscheidung
Das OLG Hamm spricht dem E. einen Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch gem. §§ 2309, 2303, 2325 ff. BGB zu. Dieser ist Abkömmling des Erblassers i.S.d. § 2309 BGB. Hier hatte der M. unstreitig die Vaterschaft nach der Geburt des E. anerkannt. Hierüber sei die vorgelegte Original-Geburtsurkunde erstellt worden. Es sei den Erben nicht gelungen, deren Richtigkeit zu widerlegen; sie hatten sich nur mit allgemeinen Ausführungen zum „unsteten Leben“ zum M. und der Mutter des E. verhalten.
Die Geburtsurkunde beweist neben Ort und Zeit der Geburt auch die in der Urkunde enthaltenen Angaben zu den Eltern des Kindes, §§ 55 Abs. 1 Nr. 4, 54 Abs. 1 Satz 2 und 59 PStG. Das galt auch schon zum Zeitpunkt der Geburt des E.
Daneben ist, weil die Unrichtigkeit der Geburtsurkunde nicht nachgewiesen ist, auch die biologische Abstammung des E. vom M. unerheblich, denn es gibt jedenfalls unstreitig eine Anerkennung der Vaterschaft des M. für E. Die Motive, die seinerzeit zur Anerkennung der Vaterschaft geführt hatten, waren ebenfalls unerheblich.
Schließlich hatte der Erblasser dem M. wirksam nach §§ 2333 ff. BGB den Pflichtteil entzogen. Aus der notariellen Urkunde und der damit einhergehenden juristischen Beratung durch den Notar nach § 17 Abs. 1 Beurkundungsgesetz ist davon auszugehen, dass der Erblasser den M. tatsächlich nach § 2333 BGB enterben wollte. Der „Kernsachverhalt“ bezüglich der rechtskräftigen Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung am Erblasser selbst wird im Testament dargestellt, sodass hier eine wirksame Pflichtteilsentziehung vorlag.
Insoweit spielte auch die seinerzeitige Tatbegehung eine Rolle, in der M. seinem körperlich weit unterlegenen Vater eine grobe Missachtung durch brutale Schläge und Tritte ins Gesicht – u.a. mit Knochenbrüchen als Folge – entgegengebracht hatte. Dabei spielt keine Rolle, dass der Prozess, den M. selbst über diese Rechtsfrage angestrengt hatte, nicht über das Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren hinausgekommen war.
Weil es hier jedenfalls keine abschließende gerichtliche Beurteilung als Hauptsacheverfahren gab, musste nicht entschieden werden, ob diese eine Bindungswirkung im Prozess zwischen E. und den Erben entfaltet hätte. Eine Verjährung lag nicht vor, da E. eine Verjährungsfrist nicht bereits ab dem Zeitpunkt des Erbfalls gegen sich anerkennen musste. So konnte nicht festgestellt werden, wann das Nachlassgericht ihn über den Tod des Erblassers und die Testamentseröffnung informiert hat.
Folgerungen aus der Entscheidung
Das OLG Hamm stellt klar, dass der Abkömmling eines Erben, dem wirksam nach §§ 2333 ff. BGB der Pflichtteil entzogen wurde, selbst noch ein Pflichtteilsanspruch i.S.d. § 2309 BGB zustehen kann. Anderes wäre nur dann gegeben, wenn der Erblasser auch ausdrücklich den Abkömmlingen des eigenen Abkömmlings den Pflichtteil entzogen hätte, was aber dann auch wieder an den Voraussetzungen der §§ 2333 ff. BGB zu messen wäre. Diese Konstellationen werden überaus selten sein.
Darüber hinaus betont das OLG Hamm, dass bei Vorliegen einer Geburtsurkunde im Original der Erbe, der die Eigenschaft als Abkömmling des Klägers bestreitet, die Aussagekraft der Geburtsurkunde zu erschüttern habe. Das ist jedenfalls dann rechtlich wie faktisch unmöglich, wenn die Vaterschaft rechtlich anerkannt wurde.
Schließlich ist irrelevant, dass im Verhältnis zwischen dem originären Abkömmling, der sich § 2333 BGB ausgesetzt sieht, und dem Erben keine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung herbeigeführt wurde.
Praxishinweis
Der Fall behandelt die in der Praxis seltene Konstellation einer Pflichtteilsentziehung nach § 2333 ff. BGB. In einem solchen Fall hat der Abkömmling des Abkömmlings, dem der Pflichtteil wirksam entzogen wurde, grundsätzlich noch immer einen eigenen, originären Pflichtteilsanspruch nach §§ 2303, 2309 BGB. In solchen Konstellationen ist nur eine Anfechtung wegen Übergehen eines Pflichtteilsberechtigten, §§ 2079 ff. BGB, denkbar.
Die Eigenschaft eines Abkömmlings muss aber dann der pflichtteilsbegehrende Abkömmling beweisen. Dies ist regelmäßig gelungen, wenn eine Original-Geburtsurkunde vorliegt. Ist die Vaterschaft durch rechtliche Anerkennung geschehen, kommt es auf die biologische Abstammung nicht mehr an.
OLG Hamm, Beschl. v. 26.10.2017 - 10 U 31/17
Quelle: Rechtsanwalt und FA für Erbrecht Miles B. Bäßler