Eine Klausel in einem notariellen Testament, „derzeitige“ Abkömmlinge der Vorerbin seien Nacherben nach Stämmen zu gleichen Teilen, kann bedeuten, dass auch künftige (geborene oder adoptierte) Abkömmlinge Nacherben sein sollen. Das hat das OLG München entschieden. Eine entsprechende Formulierung wird dann auch in den Erbschein aufgenommen - mit Folgen bei Immobilienverkäufen.
Sachverhalt
Die Erblasserin hatte im notariellen Testament die Beschwerdeführerin als Vorerbin eingesetzt und bestimmt: „Zu Nacherben bestimme ich ihre Abkömmlinge nach Stämmen zu gleichen Teilen. Dies sind derzeit: … (Beteiligte zu 2, 3, 4) … Die Nacherbschaft tritt ein mit dem Tode des Vorerben. Der Vorerbe ist nicht von gesetzlichen Beschränkungen und Verpflichtungen befreit.“ Es wurden als Ersatznacherben die „weiteren Abkömmlinge“ eingesetzt. Im Erbschein wurde vermerkt: „Die Nacherben sind die Abkömmlinge der Vorerbin nach Stimmen zu gleichen Anteilen, derzeit: … (Beteiligte zu 2, 3, 4)…“.
Die Beschwerdeführerin hatte die Nachlassimmobilie verkauft; die im Erbschein genannten Nacherben (Beteiligte zu 2,3,4) stimmten dem Verkauf zu. Das Grundbuchamt hatte die Beteiligung etwaiger weiterer unbekannter Nacherben durch Bestellung eines Ergänzungspflegers angeordnet. Dieser hatte seine Zustimmung zur Löschung des Nacherbenvermerks erklärt, der bei einer bestehenden Nacherbschaft einer Immobilie im Grundbuch eingetragen wird und deren Veräußerung ohne Zustimmung der Nacherben verhindert. Das Betreuungsgericht hatte die Genehmigung der Zustimmung abgelehnt. Damit war der Verkauf nicht durchführbar.
Die Beschwerdeführerin beantragte dann die Einziehung des Erbscheins mit dem Argument, das Wort „derzeit“ sei überflüssig und zu streichen. Das Nachlassgericht lehnte die Einziehung des Erbscheins ab. Hiergegen richtete sich die Beschwerdeführerin. Sie meint, die Erblasserin habe „weitere Abkömmlinge“, die durch Geburt oder Adoption hinzutreten könnten, nicht als Nacherben, sondern als Ersatznacherben bestimmt. Daher sei der Erbschein unrichtig.
Die Beschwerdeführerin wollten den Erbschein einziehen lassen, um die Veräußerung der Nachlassimmobilie doch noch zu ermöglichen: Wäre der Erbschein eingezogen und ein neuer Erbschein ohne das Wort „derzeit“ erteilt worden, wäre demnach kein Ergänzungspfleger für unbekannte Nacherben bestellt worden. Sie unterlag jedoch, da nach Auffassung des OLG München der Erbschein die Erbfolge zutreffend wiedergibt.
Wesentliche Aussagen der Entscheidung
Materiell ging es um die Frage der Auslegung des notariellen Testaments. Die Beschwerdeführerin war Allein(Vor)Erbin. Die Erblasserin hat aber die Nacherben nicht namentlich aufgezählt, sondern nur von „Abkömmlingen nach Stämmen, derzeit …“ gesprochen. Das OLG München legt diese Formulierung als „allgemeinen Oberbegriff“ ohne abschließende Individualisierung aus und resümiert, dass es der Wille der Erblasserin war, alle auch zukünftig (zeitlich nach der Erstellung des Testaments) als Abkömmlinge der Beschwerdeführerin (durch Geburt oder Adoption) noch hinzutretenden Personen sollten in den Genuss des Nachlasses kommen.
Dies ergibt sich aus dem im notariell beurkundeten Testament verwendeten Begriff „derzeit“. Es muss angenommen werden, der Notar habe über den nicht abschließenden Kreis der Nacherben beraten, wenn „derzeit“ formuliert wird, bevor die Nacherben aufgelistet werden. Daher ist die Formulierung so zu lesen, dass die Erblasserin mit der namentlichen Benennung der (derzeitigen) Nacherben diese nur aufzählen wollte, aber gerade keine abschließende Individualisierung der Nacherben angestrebt hat.
Auch die Bestimmung, „weitere Abkömmlinge“ seien als Ersatznacherben einzusetzen, ist so zu lesen, dass „weitere Abkömmlinge“ nur diejenigen sind, die von den Abkömmlingen der Beschwerdeführerin selbst abstammen (deren Enkel). Auch erstreckt sich der Begriff „Abkömmlinge“ ohnehin nach § 1754 BGB auch auf adoptierte Kinder. Dies wiederum setzt voraus, dass die Nacherben erst im Zeitpunkt des Nacherbfalls überhaupt nur feststellbar und individualisierbar sind. Es ist nicht überflüssig, sondern vielmehr notwendig, den Begriff „derzeit“ im Erbschein mit aufzuführen.
Folgerungen aus der Entscheidung
Die Entscheidung bestätigt, dass auch ein notarielles Testament der Auslegung zugänglich ist. Sie stellt darauf ab, dass bei der Auslegung eines solchen Testaments die (jedenfalls durch das OLG München vermutete) explizite Aufklärung und juristische Beratung über die verwendeten Begrifflichkeiten durch den beurkundenden Notar erfolgt ist.
Das wiederum führt das OLG München zu dem Schluss, dass die verwendeten Begrifflichkeiten dann aber auch im juristischen Kontext zu lesen sind – hier also mit „weitere Abkömmlinge“ i.S.d. § 1754 BGB auch theoretisch denkbare adoptierte Abkömmlinge umfasst sein können. Diese können aufgrund des Wortes „derzeit“ bei entsprechend fehlendem Vorhandensein ebenso erst im Nacherbfall bestimmt und individualisiert oder eben ausgeschlossen werden.
Da es i.S.d. § 2363 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. (jetzt § 352b FamFG) geboten ist, die Person des/der Nacherben in dem den Vorerben bezeichnenden Erbschein so genau wie möglich anzugeben, ist es daher zutreffend, im Erbschein „derzeit“ aufzuführen. Denn der sich im Rahmen dieser Auslegung ergebende Wille der Erblasserin ist im Hinblick auf die möglichst genaue Bezeichnung der potenziellen Nacherben auch explizit umzusetzen.
Praxishinweis
Die Entscheidung des OLG München befasst sich mit verschiedenen Aspekten, die der erbrechtlich tätige Berater berücksichtigen sollte. Die Auslegungsbedürftigkeit und -fähigkeit von notariell beurkundeten Testamenten ist grundsätzlich gegeben. In diesem Rahmen sind dann gesetzliche Vorgaben und Wertungen in die Auslegung (hier: „Abkömmlinge“; kann auch „adoptierte Abkömmlinge“ i.S.d. § 1754 BGB umfassen) einzubeziehen.
Sind im Erbfall Nacherben beteiligt, ist grundsätzlich (gerade bei beschränkten Vorerben) die Zustimmung zu einer Verfügung des/der Vorerben über einen Nachlassgegenstand nötig. In diesem Fall muss der Berater aber zum einen darauf achten, dass er auch die Zustimmung aller Nacherben einholt. Zum anderen muss er in Fällen, in der die Nacherben vor dem Nacherbfall noch nicht feststehen können, von voreiligen Verfügungen über Nachlassgegenstände abraten, die in dem Glauben erfolgen könnten, die Nacherben würden schon zustimmen. Anderenfalls sind Schadensersatzverpflichtungen des Vorerben denkbar.
OLG München, Beschl. v. 24.04.2017 - 31 WX 463/16
Quelle: Rechtsanwalt und FA für Erbrecht Miles B. Bäßler