Das Bundessozialgericht (BSG) hat in drei Revisionsverfahren über die Frage entschieden, ob abhängig beschäftigte Rechtsanwälte (sog. "Syndikusanwälte") gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien sind.
Darum geht es
Die beklagte DRV Bund hatte die Befreiung in allen drei Verfahren mit der Begründung abgelehnt, dass die Klägerin und die Kläger in ihren jeweiligen Beschäftigungen keine anwaltliche Tätigkeit ausübten. Während das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen die Ansicht vertrat, dass die Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis mit einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber generell keine befreiungsfähige Rechtsanwaltstätigkeit sei, hielt das Landessozialgericht Baden-Württemberg die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis für zulässig und grundsätzlich befreiungsfähig. Dessen 11. Senat hielt einen Befreiungsanspruch indes schon dann für gegeben, wenn die jeweilige Beschäftigung weder die Versagung oder Rücknahme der Rechtsanwaltszulassung noch ihren Widerruf rechtfertige (§ 7 Nr. 8, § 14 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 8 BRAO), wohingegen der 2. Senat des LSG Baden-Württemberg meint, die jeweils zu beurteilende Tätigkeit müsse kumulativ die Merkmale der Rechtsberatung, -entscheidung, -gestaltung und -vermittlung erfüllen (sog "Vier-Kriterien-Theorie").Wesentliche Entscheidungsgründe
Das Bundessozialgericht hat in allen drei Verfahren ein Befreiungsrecht verneint. Die Klägerin und die Kläger sind jeweils abhängig beschäftigt und damit in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Halbs. 1 SGB VI). Gleichzeitig sind sie aufgrund der die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit bindenden Verwaltungsakte über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft sowohl in der jeweiligen Rechtsanwaltskammer (§ 12 Abs. 3, § 60 Abs. 1 S. 2 BRAO) als auch im jeweiligen berufsständischen Versorgungswerk Pflichtmitglieder. Sie sind jedoch nicht "wegen der" Beschäftigung Pflichtmitglieder der Rechtsanwaltskammer und des Versorgungswerks. Denn die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und im berufsständischen Versorgungswerk muss wegen ein und derselben Beschäftigung bestehen; gerade die jeweils in Rede stehende Beschäftigung muss Versicherungspflicht in beiden Sicherungssystemen auslösen.Die Klägerin und die Kläger sind jedoch nicht als Rechtsanwälte bei ihren jeweiligen Arbeitgebern beschäftigt. Denn nach gefestigter verfassungsrechtlicher und berufsrechtlicher Rechtsprechung zum Tätigkeitsbild des Rechtsanwalts nach der BRAO wird derjenige, der als ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Anstellungsverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber steht (Syndikus), in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwalt tätig (BVerfG vom 4.11.1992 ? 1 BvR 79/85 ua ? BVerfGE 87, 287 ff und BGH vom 07.11.2011 ? AnwZ (B) 20/10, NJW 2011, 1517 ff). Unabhängiges Organ der Rechtspflege und damit Rechtsanwalt ist der Syndikus nur in seiner freiberuflichen, versicherungsfreien Tätigkeit außerhalb seines Dienstverhältnisses (sog Doppel- oder Zweiberufe-Theorie). Auf die von der Rechtspraxis entwickelte "Vier-Kriterien-Theorie" kommt es daher nicht an.
Dagegen haben die Inhaber einer begünstigenden Befreiungsentscheidung ein rechtlich geschütztes Vertrauen in den Fortbestand dieser Entscheidungen, das über den Schutz durch die §§ 44 ff. SGB X hinausgehen dürfte. Denn die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung haben die "Vier-Kriterien-Theorie" selbst mit befördert und angewandt. Schon weil damit bei der gebotenen typisierenden Betrachtung Lebensentscheidungen über die persönliche Vorsorge nachhaltig mit beeinflusst wurden, kann einer Änderung der Rechtsauffassung hinsichtlich ergangener Befreiungsentscheidungen grundsätzlich und in aller Regel keine Bedeutung zukommen.Bundessozialgericht, Urt. v. 03.04.2014 - B 5 RE 13/14 R - B 5 RE 9/14 - B 5 RE 3/14 R Quelle: Bundessozialgericht, Pressemitteilung vom 03.04.2014