Vorbemerkung: Die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrecht vom 04.05.2021 soll helfen, den (natürlichen) Willen der unter Betreuung stehenden Person zu verwirklichen. Dem soll bereits bei der Anordnung der Betreuung Rechnung getragen werden. Obwohl die Novelle erst am 01.01.2023 in Kraft tritt, entsprechen neuere Entscheidungen schon dieser Tendenz, wie unter anderem im folgenden Beitrag dargestellt.
Ein Betreuer darf nur bestellt werden, soweit die Betreuung erforderlich ist (§ 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB, künftig § 1814 Abs. 3 Satz 1 BGB). Hierzu hat der Tatrichter im konkreten Einzelfall festzustellen, dass eine Betreuung – auch unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – notwendig ist, weil die betroffene Person auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen.
Die Erforderlichkeit einer Betreuung darf sich dabei nicht allein aus der subjektiven Unfähigkeit des Betroffenen ergeben, seine Angelegenheiten selbst regeln zu können (Betreuungsbedürftigkeit). Notwendig ist vielmehr, dass zu dieser subjektiven Komponente ein konkreter Bedarf für die Bestellung eines Betreuers hinzukommt. Ob und für welche Aufgabenbereiche ein objektiver Betreuungsbedarf besteht, muss aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen beurteilt werden.
Die betroffene Person muss nicht generell „handlungsunfähig“ sein. Es genügt, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann.[1] Die Betreuungsgerichte dürfen entgegen der bisherigen teilweisen Handhabung bei einem Handlungsbedarf in einem Aufgabenbereich (z.B. in Angelegenheiten der Gesundheitssorge einschließlich der Unterbringung, Aufenthaltsbestimmung und Wohnungsangelegenheiten) nicht mehr darüber hinaus für weitere Bereiche, insbesondere die Vermögenssorge, eine Betreuung anordnen (vgl. künftig § 1815 Abs. 1 Satz 3 BGB).
Das Betreuungsgericht ist verpflichtet (§ 280 Abs. 1 FamFG), ein Sachverständigengutachten zur Betreuungsbedürftigkeit und zum Umfang der Betreuung einzuholen. Dies ist allerdings nur dann der Fall, wenn das Verfahren mit einer Betreuerbestellung oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts endet. Wird kein Betreuer bestellt, etwa weil eine Vorsorgevollmacht vorliegt, ist die Einholung eines Gutachtens nicht zwingend erforderlich.[2]
Soweit dies zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten erforderlich ist, ordnet das Betreuungsgericht nach § 1903 BGB an, dass der Betreute zu einer Willenserklärung, die den Aufgabenkreis des Betreuers betrifft, dessen Einwilligung bedarf (Einwilligungsvorbehalt). Ob dies der Fall ist, hat das Betreuungsgericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht festzustellen. Gegen den freien Willen der betroffenen Person kann ein Einwilligungsvorbehalt nicht angeordnet werden.
Auch bei einem umfangreichen Vermögen des Betreuten ist ein Einwilligungsvorbehalt allerdings nur dann zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Vermögensgefährdung erheblicher Art vorliegen. Dabei muss es sich um eine Vermögensgefährdung durch eigenes, aktives Tun des Betreuten handeln, insbesondere durch Maßnahmen, die die Vermögenserhaltung und den Vermögensschutz des Betreuers konterkarieren. Hierzu muss das Betreuungsgericht eine begründete Prognoseentscheidung treffen. Der Grundsatz der Erforderlichkeit bedeutet dabei auch, dass der Einwilligungsvorbehalt je nach den Umständen auf einen einzelnen Vermögensgegenstand oder eine bestimmte Art von Geschäften beschränkt werden kann.[3]
Der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts für Vermögensangelegenheiten steht die Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen nicht entgegen. Das Betreuungsgericht hat dem Betroffenen grundsätzlich vor der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen.[4] Erscheint der Betroffene nicht, hat erforderlichenfalls eine Zwangsvorführung zu erfolgen, sofern nicht erhebliche Gesundheitsgefahren bestehen. Abstrakte Gefährdungen, wie beispielsweise die COVID-19-Pandemie, genügen nicht. In Verfahren, die einen umfassenden Einwilligungsvorbehalt in Vermögensangelegenheiten zum Gegenstand haben, ist für den Betroffenen i.d.R. ein Verfahrenspfleger zu bestellen. Sieht das Gericht hiervon ab, hat es die Gründe dafür in der Entscheidung darzulegen.
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[1] BGH, Beschl. v. 06.09.2017 – XII ZB 180/17, FamRZ 2017, 1962; BGH, Beschl. v. 10.06.2020 – XII ZB 25/20, FamRZ 2020, 1588; BGH, Beschl. v. 21.10.2020 – XII ZB 153/20, FamRZ 2021, 385; BGH, Beschl. v. 09.06.2021 – XII ZB 545/20, FamRZ 2021, 1657; BGH, Beschl. v. 30.06.2021 – XII ZB 73/21, FamRZ 2021, 1737.
[2] BGH, Beschl. v. 18.03.2015 – XII ZB 370/14, FamRZ 2015,844; BGH, Beschl. v. 24.02.2021 – XII ZB 503/20, FamRZ 2021, 795; BGH, Beschl. v. 14.07.2021 – XII ZB 135/21, FamRZ 2021, 1738.
[3] BGH, Beschl. v. 09.05.2018 – XII ZB 575/17, FamRZ 2018, 1193.
[4] BGH, Beschl. v. 02.07.2014 – XII ZB 120/14, FamRZ 2014, 1543; BGH, Beschl. v. 24.02.2021 – XII ZB 503/20, FamRZ 2021, 795.