Das Amtsgericht Hanau hat klargestellt, dass bei einem Unfall zwischen einem links abbiegenden Fahrzeug und dem Gegenverkehr das Verschulden des Abbiegers vermutet wird. Im Streitfall konnte der Anscheinsbeweis nicht widerlegt werden, allerdings berücksichtigte das Gericht aufgrund eines Tempoverstoßes des vorfahrtsberechtigten Fahrzeugs dessen Betriebsgefahr bei der Haftungsquote.
Darum geht es
Die Klägerin macht Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls und Ersatz für vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten geltend.
Das Fahrzeug der Klägerin fuhr bei einer erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h in einen Kreuzungsbereich ein und beabsichtigte, weiter geradeaus zu fahren.
Der Beklagte befuhr die Straße in der entgegengesetzten Richtung und beabsichtigte, in der Kreuzung nach links abzubiegen. Während des Abbiegevorgangs kam es zur Kollision der Fahrzeuge.
Die Klägerin verlangte den vollständigen Ersatz ihrer Fahrzeugschäden, da ihr Wagen langsam in die Kreuzung eingefahren sei, den Unfall aber nicht habe verhindern können.
Der Beklagte meint, das Fahrzeug der Klägerin sei zu schnell gefahren, so dass ihn keine Haftung treffe.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Das Amtsgericht Hanau hat der Klage überwiegend stattgegeben. Die Klägerin kann allerdings nur Zahlung von Schadensersatz mit einer Quote von 80 % verlangen. Auf die Klägerin selbst entfällt demnach eine Haftungsquote von 20 %.
Das Amtsgericht hat nach der Beweisaufnahme festgestellt, dass der Unfall allein durch das abbiegende Fahrzeug verursacht wurde. Hierfür spreche bereits die Vermutung eines Verstoßes gegen die Vorfahrtsgewährungspflicht beim Abbiegen gem. § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO.
Denn der Unfall ist während des Abbiegevorgangs passiert. Dies könne der Beklagte nur durch den Beweis solcher Umstände widerlegen, aus denen sich ein unfallursächliches Fehlverhalten des klägerischen Fahrzeugs ergibt. Die Beweisaufnahme habe derartiges jedoch nicht bestätigt.
Zwar zeige das Sachverständigengutachten, dass das klägerische Fahrzeug angesichts der örtlichen Gegebenheiten mit ca. 30 bis 40 km/h zu schnell in die Kreuzung einfuhr, hieraus sei jedoch nicht zu schließen, dass eben diese Geschwindigkeitsüberschreitung auch die Kollision mit dem abbiegenden Fahrzeug verursacht habe.
Der Wartepflichtige müsse im Stadtverkehr auf Straßen, die eine höhere Geschwindigkeit zulassen, damit rechnen, dass der sichtbar Entgegenkommende die zulässige Geschwindigkeit mäßig überschreitet.
Im Streitfall überwiege das Verschulden der Beklagten aufgrund der im Zuge des Sachverständigengutachtens angenommenen Geschwindigkeitsüberschreitung aber nicht derart, dass die Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Klägerin nicht ins Gewicht fällt.
Die Geschwindigkeitsüberschreitung erschüttere zwar nicht den Anscheinsbeweis, lässt es nach dem Gericht aber als angemessen erscheinen, die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs in Ansatz zu bringen.
Demnach haftet die Klägerin zu 20 % aufgrund der allgemeinen Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs. Der Klägerin kann somit nur 80 % des geltend gemachten Schadensersatzes verlangen.
Der sich daraus ergebende Gesamtbetrag war demzufolge auch maßgeblich für den Gegenstandswert. Wegen der weitergehenden vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten war die Klage abzuweisen.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Amtsgericht Hanau, Urt. v. 19.06.2024 - 39 C 81/22
Quelle: Amtsgericht Hanau, Pressemitteilung v. 13.01.2025