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Verkehrsrecht -

Abgasskandal: Umwelthilfe darf gegen genehmigte Abschaltsoftware klagen

Die Deutsche Umwelthilfe darf gegen die EG-Typengenehmigung von Fahrzeugen klagen, die mit einer Abschaltautomatik zur Abgasreinigung ausgestattet sind. Eine Software für Diesel-Pkw, die die Wirkung des Emissionskontrollsystems bei üblichen Temperaturen und während des überwiegenden Teils des Jahres verringert, stellt eine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Das hat der EuGH entschieden.

Darum geht es

Die Deutsche Umwelthilfe, eine nach deutschem Recht zur Einlegung von Rechtsbehelfen berechtigte anerkannte Umweltvereinigung, ficht vor dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht die Entscheidung des Kraftfahrt-Bundesamts an, mit der für bestimmte Fahrzeuge der Marke Volkswagen die Verwendung einer Software zur Verringerung des Recyclings von Schadstoffen nach Maßgabe der Außentemperatur genehmigt wurde. 

Die fragliche Software legt ein Thermofenster fest, bei dem die Abgasrückführungsrate bei einer Umgebungstemperatur unter - 9 Grad Celsius bei 0 % liegt, zwischen - 9 und 11 Grad Celsius bei 85 % und über 11 Grad Celsius ansteigt, um erst ab einer Umgebungstemperatur von über 15 Grad Celsius 100 % zu erreichen. 

Bei der in Deutschland festgestellten Durchschnittstemperatur, die im Jahr 2018 10,4 Grad Celsius betragen haben soll, liegt die Abgasrückführungsrate also nur bei 85 %. Nach Auffassung der Deutschen Umwelthilfe stellt ein solches Thermofenster eine gemäß dem Unionsrecht unzulässige Abschalteinrichtung dar. 

Die Bundesrepublik Deutschland, gegen die sich die Klage richtet, macht geltend, dass die Deutsche Umwelthilfe für eine Anfechtung der streitigen Entscheidung, mit der eine EG-Typgenehmigung geändert wird, nicht klagebefugt und ihre Klage daher unzulässig sei. Im Übrigen sei das in Rede stehende Thermofenster mit dem Unionsrecht vereinbar. 

Das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht, das in Bezug auf diese beiden Punkte Zweifel hat, hat den EuGH um Auslegung der Übereinkommen von Aarhus („Aarhus-Konvention“) in Verbindung mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Verordnung Nr. 715/2007 über die Typgenehmigung von Kraftzeugen ersucht. 

Wesentliche Entscheidungsgründe

Mit seinem Urteil antwortet der EuGH erstens, dass das Übereinkommen von Aarhus in Verbindung mit der Charta dahingehend auszulegen ist, dass es einer insoweit rechtlich anerkannten Umweltvereinigung nicht verwehrt werden darf, eine Verwaltungsentscheidung, die die EG-Typengenehmigung für Fahrzeuge mit einer möglicherweise unzulässigen Abschalteinrichtung vorsieht, vor einem innerstaatlichen Gericht anzufechten.

Das Übereinkommen von Aarhus verpflichtet nämlich in Verbindung mit der Charta die Mitgliedstaaten dazu, einen wirksamen gerichtlichen Schutz zu gewährleisten, und verbietet es ihnen, Umweltvereinigungen jede Möglichkeit zu nehmen, die Beachtung bestimmter Vorschriften des Unionsumweltrechts überprüfen zu lassen.  

Zweitens erinnert der Gerichtshof daran, dass er in Bezug auf ein identisches Thermofenster bereits entschieden hat, dass eine Einrichtung, die die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt und der Fahrbetrieb unterhalb von 1.000 Höhenmetern erfolgt, eine „Abschalteinrichtung“ darstellt. 

Nach der Verordnung Nr. 715/2007 ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. 

Jedoch kann eine Abschalteinrichtung, wie der EuGH bereits entschieden hat, ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden. Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Ob dies hier der Fall ist, hat das vorlegende Gericht zu prüfen.

Außerdem ist, wie der EuGH ebenfalls bereits entschieden hat, eine solche „Notwendigkeit“ der Verwendung einer Abschalteinrichtung nur dann gegeben, wenn zum Zeitpunkt der EG-Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor (Beschädigung oder Unfall) abwenden kann.  

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass selbst bei Vorliegen der oben beschriebenen Notwendigkeit die Abschalteinrichtung, wenn sie während des überwiegenden Teils des Jahres unter normalen Fahrbedingungen funktionieren sollte, unzulässig ist. Ließe man nämlich eine solche Einrichtung zu, würde dies dazu führen, dass die Ausnahme häufiger zur Anwendung käme als das Verbot. Dadurch würde aber der Grundsatz der Begrenzung der Stickstoffoxid (NOx)-Emissionen unverhältnismäßig beeinträchtigt. 

EuGH, Urt. v. 08.11.2022 - C-873/19

Quelle: EuGH, Pressemitteilung v. 08.11.2022

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