Die von den Rentenversicherungsträgern angewandte Rentenberechnung mit einer Absenkung des Zugangsfaktors auch bei einem Rentenbeginn vor dem 60. Lebensjahr des Versicherten ist nach Auffassung desBSG vom Gesetz gedeckt.
Dies ergibt sich unter anderem aus dem systematischen Zusammenhang zur gleichzeitig beschlossenen Verlängerung der Zurechnungszeit, wie er insbesondere in dem bis zum 31.12.2003 geltenden Übergangsrecht zum Ausdruck kommt, und der entsprechenden Regelung für den Bereich der landwirtschaftlichen Altersversorgung.
Insgesamt sieht der Senat ausreichende Anhaltspunkte für die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, alle Erwerbsminderungsrenten um so mehr zu senken, je näher der Rentenbeginn an das 60. Lebensjahr des Versicherten heranrückt. Für die zu beurteilende Witwenrente gilt nichts grundsätzlich anderes. An dieser Entscheidung war der Senat nicht mehr gehindert, nachdem der 13. Senat am 26. Juni 2008 beschlossen hatte, an der gegenteiligen Rechtsauffassung des 4. Senats nicht festzuhalten.
Von der Verfassungswidrigkeit der Rentenabschlagsregelung konnte sich der Senat nicht überzeugen. Durch die Absenkung der Versichertenrenten hält er insbesondere das Recht auf Eigentum und den Gleichheitssatz nicht für verletzt. Die getroffene Regelung stellt sich als Reaktion auf die demografische Entwicklung dar, die unter anderem durch längere Rentenbezugszeiten zu einer besonderen finanziellen Belastung der gesetzlichen Rentenversicherung führt. Mit Rücksicht auf den verfassungsrechtlich zuzubilligenden Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ist es nicht verfassungswidrig, wenn zum Ausgleich nicht nur vorzeitige Altersrenten, sondern auch die Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenrenten abgesenkt werden, soweit sie vor dem 63. (heute: 65.) Lebensjahr des Versicherten beginnen bzw der Versicherte vor diesem Zeitpunkt verstirbt.
Die bei diesen Rentenarten fehlende Entscheidungsfreiheit in Bezug auf den Zeitpunkt der Inanspruchnahme (die im Übrigen auch bei Altersrenten faktisch eingeschränkt sein kann) ist durch die im Verhältnis zu den meisten Altersrenten geringere Kürzung angemessen berücksichtigt. Das Vertrauen der Versicherten ist bei einer dreijährigen Übergangszeit nicht in verfassungswidriger Weise verletzt. Außerdem führt die Verlängerung der Zurechnungszeit bei Erwerbsminderung oder Tod in jüngeren Jahren zu einer deutlich geringeren Rentenkürzung. Der Nachteil, den Rentenabschlag nicht - wie bei einer vorzeitigen Altersrente - durch Beitragszahlungen ausgleichen zu können, fällt deshalb nicht entscheidend ins Gewicht.
Die Kürzung bei Hinterbliebenenrenten hält der Senat aus ähnlichen Gründen nicht für verfassungswidrig; die Anknüpfung an die Höhe der Versichertenrente ist in einem System der abhängigen Hinterbliebenenrenten nicht sachwidrig.
Die Gegenmeinung missachte den systematischen Zusammenhang zur gleichzeitig beschlossenen Verlängerung der Zurechnungszeit. Diese begünstigt Versicherte bzw Hinterbliebene nur, wenn Erwerbsminderung bzw Tod vor dem 60. Lebensjahr eintreten, sodass auch die Vorschriften über den Rentenabschlag so zu verstehen sind, dass sie die Rentenminderung vorher bewirken sollen.
Hinweise zum rechtlichen Hintergrund:
§ 77 SGB VI in der mit Wirkung vom 1.1.2001 geltenden Fassung:
(1) Der Zugangsfaktor richtet sich nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn oder bei Tod und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche Entgeltpunkte zu berücksichtigen sind.
(2) Der Zugangsfaktor ist für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren,
1. …
2. bei Renten wegen Alters, die
a) vorzeitig in Anspruch genommen werden, für jeden Kalendermonat um 0,003 niedriger als 1,0 und
b) nach Vollendung des 65. Lebensjahres trotz erfüllter Wartezeit nicht in Anspruch genommen werden, für jeden Kalendermonat um 0,005 höher als 1,0,
3. bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und bei Erziehungsrenten für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0,
4. bei Hinterbliebenenrenten für jeden Kalendermonat,
a) der sich vom Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist, bis zum Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres des Versicherten ergibt, um 0,003 niedriger als 1,0 und
b) für den Versicherte trotz erfüllter Wartezeit eine Rente wegen Alters nach Vollendung des 65. Lebensjahres nicht in Anspruch genommen haben, um 0,005 höher als 1,0.
Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder eine Erziehungsrente vor Vollendung des 60. Lebensjahres oder ist bei Hinterbliebenenrenten der Versicherte vor Vollendung des 60. Lebensjahres verstorben, ist die Vollendung des 60. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend. Die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Versicherten gilt nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme.
(3) …
Quelle: BSG - Terminbericht Nr. 40/08 vom 18.08.08