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Sozialrecht, Arbeitsrecht -

Öffentlicher Dienst: Startgutschriftenregelung bestätigt

Der BGH hat mit einem Grundsatzurteil den jahrelangen Streit über die Zusatzversorgung von Beschäftigten im öffentlichen Dienst geklärt. Die Bundesrichter bestätigten die Wirksamkeit der im März 2018 erneut geänderten Startgutschriftenregelung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) für rentenferne Versicherte. Damit hat die jüngste tarifvertragliche Vereinbarung Bestand.

Darum geht es

Die VBL hat die Aufgabe, Angestellten und Arbeitern der an ihr beteiligten Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes im Wege privatrechtlicher Versicherung eine zusätzliche Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. 

Mit Neufassung ihrer Satzung (VBLS) vom 22.11.2002 stellte die VBL ihr Zusatzversorgungssystem rückwirkend zum 31.12.2001 (Umstellungsstichtag) von einem an der Beamtenversorgung orientierten Gesamtversorgungssystem auf ein auf dem Punktemodell beruhendes, beitragsorientiertes Betriebsrentensystem um.

Die neugefasste Satzung enthält - auf der Grundlage entsprechender tarifvertraglicher Vereinbarungen - Übergangsregelungen zum Erhalt von bis zur Systemumstellung erworbenen Rentenanwartschaften. 

Diese werden als so genannte Startgutschriften den Versorgungskonten der Versicherten gutgeschrieben. Dabei werden Versicherte, deren Versorgungsfall zum Umstellungsstichtag noch nicht eingetreten war, in rentennahe und rentenferne Versicherte unterschieden. 

Grundsätzlich ist rentenfern, wer am 01.01.2002 das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Das betraf zum Umstellungsstichtag ca. 1,7 Mio. Versicherte.

Die Startgutschrift rentenferner Versicherter nach § 79 Abs. 1 VBLS i.V.m. § 18 Abs. 2 BetrAVG wird - vereinfacht dargestellt - in zwei Rechenschritten ermittelt: In einem ersten Rechenschritt wird die so genannte Voll-Leistung berechnet, die die vom Versicherten bei der VBL maximal erzielbare, fiktive Vollrente beschreibt. 

Dazu wird von der dem Versicherten zum Umstellungsstichtag fiktiv zustehenden Gesamtversorgung, der so genannten Höchstversorgung, dessen voraussichtliche Grundversorgung, d.h. seine gesetzliche Rente, in Abzug gebracht. 

In einem zweiten Schritt wird rentenfernen Versicherten als Startgutschrift zunächst für jedes Jahr ihrer Pflichtversicherung in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes anteilig ein Prozentsatz (sog. Anteilssatz) dieser Voll-Leistung gutgeschrieben.

Der Anteilssatz betrug zunächst 2,25 %. Diese Übergangsregelung erklärte der IV. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 14.11.2007 (Az. IV ZR 74/06) wegen eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG für unverbindlich und beanstandete insbesondere eine gleichheitswidrige Benachteiligung von Versicherten mit langen Ausbildungszeiten.

Daraufhin ergänzten die Tarifvertragsparteien und ihnen folgend die VBL die Startgutschriftenregelung um eine Vergleichsberechnung in § 79 Abs. 1a VBLS, die unter näher geregelten Voraussetzungen zu einer Erhöhung der bisherigen Startgutschriften rentenferner Versicherte führen konnte. 

Mit Urteil vom 09.03.2016 (IV ZR 9/15) entschied der IV. Zivilsenat des BGH, dass die solcherart geänderte Übergangsregelung weiterhin zu einer gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Ungleichbehandlung führe und deshalb ebenfalls unverbindlich sei.

Mit Änderungstarifvertrag von Juni 2017 einigten sich die Tarifvertragsparteien darauf, im Rahmen der Ermittlung der Startgutschrift den bisherigen Anteilssatz von 2,25 % durch einen variablen Anteilssatz zu ersetzen. 

Dieser beträgt, in Abhängigkeit von den Pflichtversicherungszeiten, die der jeweilige Versicherte bis zum Eintritt des 65. Lebensjahrs erreichen kann, zwischen 2,25 % und 2,5 %. Die VBL übernahm diese Neuregelung mit Wirkung zum März 2018 in § 79 Abs. 1 Satz 3 bis 8 ihrer Satzung.

Die hiesige Klägerin ist rentenferne Versicherte bei der beklagten VBL und bezieht von dieser seit August 2014 eine Versorgungsrente. 

Sie hält auch die nochmals geänderte Übergangsregelung für unwirksam und erstrebt eine nach dem vor der Systemumstellung geltenden Satzungsrecht ermittelte Rente, hilfsweise eine abweichende Berechnung ihrer Startgutschrift unter Berücksichtigung verschiedener ihr günstiger Berechnungsgrundlagen und äußerst hilfsweise die Feststellung der Unverbindlichkeit der ermittelten Startgutschrift. 

Ihre Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat die nunmehrige Übergangsregelung für wirksam gehalten und insbesondere einen Verstoß der Startgutschriftenregelung gegen Art. 3 Abs. 1 GG sowie eine Diskriminierung rentenferner Versicherter wegen ihres Lebensalters und ihres Geschlechts verneint.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Der BGH hat in einer Grundsatzentscheidung die Revision der Klägerin gegen das Berufungsurteil zurückgewiesen. 

Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass die für rentenferne Versicherte getroffene Übergangsregelung wirksam ist. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine anderweitige Berechnung ihrer Startgutschrift.

Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, dass bei der Ermittlung der Startgutschrift für die Berechnung der Voll-Leistung die von der Höchstversorgung in Abzug zu bringende voraussichtliche gesetzliche Rente des Versicherten nicht individualisiert, sondern nach dem bei der Berechnung von Pensionsrückstellungen allgemein zulässigen Verfahren (dem so genannten Näherungsverfahren) zu ermitteln ist.

Die Anwendung des Näherungsverfahrens verstößt namentlich nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Zwar kann sich die Anwendung des Näherungsverfahrens im Vergleich zu einer individualisierten Berechnung der fiktiven gesetzlichen Rente ungünstig auswirken. 

Die mit dieser Ungleichbehandlung im Einzelfall verbundenen Härten und Ungerechtigkeiten sind aber hinzunehmen. Insbesondere bei der Ordnung von Massenerscheinungen und der Regelung hochkomplizierter Materien, wie der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst, können typisierende und generalisierende Regelungen zulässig sein. 

Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die ausschließliche Anwendung des Näherungsverfahrens die verfassungsmäßigen Grenzen einer zulässigen Typisierung und Standardisierung einhält.

Die Anwendung des Näherungsverfahrens bewirkt ferner keine unzulässige Benachteiligung wegen des Geschlechts. Insbesondere liegt keine unzulässige Benachteiligung weiblicher rentenferner Versicherter vor. 

Die Feststellungen des Berufungsgerichts zeigen, dass sich die Anwendung des Näherungsverfahrens nicht auf einen signifikant höheren Anteil der weiblichen Versicherten ungünstig auswirkt. 

Infolge von Lücken in der Erwerbsbiografie, etwa aufgrund von Kinderbetreuungszeiten, benachteiligte weibliche (und männliche) Versicherte werden zudem dadurch begünstigt, dass bei der Berechnung der Gesamtversorgung zu ihren Gunsten ebenfalls eine lückenlose Erwerbsbiografie unterstellt wird.

Aus Rechtsgründen ist ebenfalls nicht zu beanstanden, dass der Startgutschriftenermittlung nunmehr ein gleitender Anteilssatz von 2,25 % bis 2,5 % für jedes Jahr der Pflichtversicherung zugrunde liegt. 

Durch die Einführung des gleitenden Anteilssatzes können bei einem angenommenen Renteneintritt mit 65 Lebensjahren nunmehr - anders als noch nach der Vorgängerregelung - auch Versicherte mit einem Diensteintrittsalter zwischen 20 Jahren und sieben Monaten und 25 Jahren theoretisch eine Startgutschrift von 100 % der Voll-Leistung und damit die höchstmögliche Versorgung erreichen. 

Damit entfällt insbesondere die bisherige Benachteiligung von Versicherten mit längeren Ausbildungszeiten, die nach einem Studium oder einer Ausbildung außerhalb des öffentlichen Dienstes üblicherweise bis zum 25. Lebensjahr in den öffentlichen Dienst eintreten.

Es verstößt weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz noch bewirkt es eine unzulässige Benachteiligung wegen des Alters, dass Versicherten mit einem Eintrittsalter von mehr als 25 Jahren infolge der Deckelung des Anteilssatzes auf 2,5 % weiterhin die höchstmögliche Versorgung auch theoretisch nicht erreichen können. 

In Anbetracht eines typischen Erwerbslebens von mindestens 40 Jahren ist es nicht zu beanstanden, dass Versicherte die höchstmögliche Versorgung lediglich unter der Voraussetzung einer erreichbaren Pflichtversicherungszeit von mindestens 40 Jahren erzielen können. 

Dies gilt auch, soweit diese Versicherten keine Erhöhung der Startgutschrift nach § 79 Abs. 1a VBLS erhalten. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, wird die Regelung in § 79 Abs. 1a VBLS lediglich im Hinblick auf das schützenswerte Vertrauen derjenigen Versicherten aufrechterhalten, denen nach der bisherigen Vergleichsberechnung noch ein Zuschlag zusteht.

Der gleitende Anteilssatz bewirkt ferner keine neue unzulässige Ungleichbehandlung wegen des Alters der vor Vollendung des 25. Lebensjahres in den öffentlichen Dienst eingetretenen Versicherten. Zwar fällt für diese Versicherten der gleitende Anteilssatz - begrenzt auf mindestens 2,25 % - desto kleiner aus, je jünger sie in den öffentlichen Dienst eingetreten sind. 

Das bewirkt jedoch unter Berücksichtigung des weiten Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien keine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters, sondern wahrt das der betrieblichen Altersversorgung im öffentlichen Dienst zugrundeliegende Prinzip, die Betriebstreue des Versicherten im öffentlichen Dienst zu honorieren.

Die Übergangsregelung für rentenferne Versicherte ist schließlich auch unter dem Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit nicht zu beanstanden. Eine einseitige Belastung bestimmter Versichertengruppen wie bei der früheren Übergangsregelung liegt nicht mehr vor.

BGH, Urt. v. 20.09.2023 - IV ZR 120/22

Quelle: BGH, Pressemitteilung v. 20.09.2023

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