Arbeitgeber sind verpflichtet, auch innerhalb der sog. Wartezeit nach § 1 KSchG, § 173 und § 168 SGB IX, in denen ein schwerbehinderter Mensch noch keinen Kündigungsschutz genießt, ein Präventionsverfahren nach § 167 SGB IX durchzuführen. Das hat das LAG Köln entschieden. Damit widerspricht das Gericht der bisherigen BAG-Rechtsprechung zur bis 2017 geltenden Vorgängerregelung.
Darum geht es
Der 1984 geborene Kläger verfügt über einen Grad der Behinderung von 80 und war bei der beklagten Kommune seit dem 01.01.2023 im Bauhof beschäftigt.
Am 22.06.2023 kündigte die Beklagte dem Kläger innerhalb der Probezeit ohne zuvor ein Präventionsverfahren durchgeführt zu haben.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 21.04.2016 - 8 AZR 402/14) hat das LAG Köln entschieden, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, bei auftretenden Schwierigkeiten bereits innerhalb der ersten sechs Monate eines Arbeitsverhältnisses ein Präventionsverfahren durchzuführen.
Das Präventionsverfahren nach §167 SGB IX stellt ein kooperatives Klärungsverfahren dar, das Arbeitgeber unter Beteiligung internen und externen Sachverstandes (insb. Schwerbehindertenvertretung, Integrationsamt, Rehabilitationsträger) durchführen müssen, wenn der Arbeitsplatz eines schwerbehinderten Arbeitnehmers gefährdet ist.
Unterlässt der Arbeitgeber die Durchführung des Präventionsverfahrens, kann dies zur Unwirksamkeit der Kündigung führen.
Denn in einem solchen Fall wird vermutet, dass der Arbeitgeber den schwerbehinderten Arbeitnehmer wegen des nicht durchgeführten Präventionsverfahrens diskriminiert hat.
Nach Auffassung des LAG Köln ergibt sich die vom BAG vorgenommene zeitliche Begrenzung weder aus dem Wortlaut der Vorschrift, noch stützt eine Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen dieses Ergebnis.
Wegen der auch vom Bundesarbeitsgericht angenommenen strukturellen Probleme, ein Präventionsverfahren vor Ablauf der ersten sechs Monate („Probezeit“) zum Abschluss zu bringen, hat das LAG Köln für diese Sonderkonstellation aber eine Beweiserleichterung zugunsten des Arbeitgebers vorgenommen, um die Wartezeitkündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen nicht faktisch vollständig auszuschließen.
Im konkreten Einzelfall ist das LAG Köln aufgrund der unstreitigen Tatsachen zu dem Ergebnis gekommen, dass die streitgegenständliche Probezeitkündigung nicht wegen der Schwerbehinderung des Klägers ausgesprochen worden war und hat die Kündigungsschutzklage des Klägers abgewiesen.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Revision beim BAG eingelegt werden.
LAG Köln, Urt. v. 12.09.2024 - 6 SLa 76/24
Quelle: LAG Köln, Pressemitteilung v. 12.09.2024