Schuldnerberatung für Erwerbstätige: ARGE kann zur Kostentragung verpflichtet sein
Wer wegen Schulden seine Arbeit zu verlieren droht, kann gegen den zuständigen Träger der Grundsicherung (hier: ARGE) einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Schuldnerberatung haben.
Das hat das Landessozialgericht NRW jetzt als erstes Landessozialgericht in Deutschland entschieden.
Die Essener Richter gaben damit einer 42jährigen aus Siegen Recht, deren inzwischen verstorbener Vater sie durch Immobiliengeschäfte in ihrem Namen mit erheblichen Schulden belastet hatte. Sie hatte unter dem Druck der Schulden (Lohnpfändungen, drohender Verlust des Girokontos) und einer anstrengenden Akkordarbeit vorbeugend die Hilfe einer Schuldnerberatung in Anspruch genommen. Die Kosten in Höhe von 225 Euro für die fünfstündige Beratung hatte sie zunächst vom Träger der Sozialhilfe und später auch von der ARGE erstattet verlangt.
Den Anspruch der Klägerin gegen den Sozialhilfeträger lehnten die Essener Richter zwar ab, weil die erwerbsfähige Klägerin keine Sozialhilfeleistungen verlangen könne; sie sahen aber eine mögliche Zahlungspflicht der ARGE. Nach Ansicht des LSG NRW sieht das Sozialgesetzbuch II (SGB II) nach seinen Grundgedanken und Zielen auch die Gewährung von Hilfen an noch Erwerbstätige durch die ARGE vor, um schon den Verlust der Erwerbstätigkeit und das Eintreten von Hilfebedürftigkeit – insbesondere in Form fehlender Eigensicherung des Lebensunterhalts - zu vermeiden. Der Anwendungsbereich der Vorschrift des § 16 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II (seit 1.1.2009: § 16a SGB II) über die Gewährung von Schuldnerberatung sei deswegen nicht auf bereits Hilfebedürftige im Sinne des SGB II beschränkt. Das Gesetz müsse vielmehr auf Menschen, denen Hilfebedürftigkeit nur drohe, entsprechend angewandt werden. Die Neufassung des früheren Bundessozialhilfegesetzes und des darin enthaltenen Anspruchs auf vorbeugende Schuldnerberatung habe zu Regelungslücken und Ungereimtheiten geführt. Dies, so die Essener Richter, dürfe aber nicht zu Lasten der Betroffenen gehen und dazu führen, dass der erwerbstätigen Klägerin ein Anspruch auf Kostenerstattung für die dringend benötigte vorbeugende Schuldnerberatung generell verwehrt werde. Vielmehr habe der Gesetzgeber die vorbeugende Schuldnerberatung weiterhin für geboten gehalten und sie in § 11 Abs. 5 Satz 3 des Zwölften Sozialgesetzbuches – SGB XII – für Sozialhilfeempfänger auch ausdrücklich geregelt. Dieser Rechtsgedanke sei wegen der vergleichbaren Interessenlage auf das SGB II und damit auf den Anspruch der Klägerin nach § 16 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II zu übertragen.
Mit dem Urteil verpflichteten die Essener Richter die zuständige ARGE, den Anspruch der Klägerin neu zu prüfen.
Wegen der Bedeutung der neuen Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus hat der Senat die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen. Das Urteil ist deshalb noch nicht rechtskräftig.
(LSG NRW - Urteil vom 25.05.2009 - Aktenzeichen L 20 SO 54/07)
Quelle: LSG NRW - Pressemitteilung vom 13.07.09