Bei Lorenzos Öl handelt es sich weder um ein Heil- noch um ein Hilfsmittel.
Nach Ansicht des Bundessozialgerichts stellt es vielmehrentweder ein nicht zugelassenes Fertigarzneimittel oder ein Lebensmittel dar und ist nicht erstattungspflichtig.
Sachverhalt:
Der 1963 geborene Kläger, bei der beklagten Ersatzkasse krankenversichert, leidet an einer Adrenomyeloneuropathie (AMN), der häufigsten Form der angeborenen X-chromosomalen Adrenoleukodystrophie (X-ALD). Bei X-ALD sammeln sich auf Grund gestörten Abbaus und evtl. gesteigerter körpereigener Fettsäuresynthese überlangkettige Fettsäuren (VLCFA) im Körper. Dies führt bei der langsam progressiv verlaufenden AMN vorwiegend zu einer Degeneration der langen Rückenmarksbahnen, ggfs mit zusätzlicher Betroffenheit u.a. des Zentralnervensystems. Hauptsymptom ist u.a. eine spastische Lähmung der Beine. Die Krankheit ist bisher im Wesentlichen lediglich symptomatisch zu behandeln. Um den VLCFA-Spiegel im Körper niedrig zu halten, nimmt der Kläger regelmäßig das in Deutschland als diätetisches Lebensmittel angebotene "Lorenzos Öl" ein. Das Öl kann allerdings zu unerwünschten Nebenwirkungen (u.a. Thrombo- und Leukozytopenien, erhöhten Leberenzymen und Kardiomyopathien) führen. Die Zulassungsbehörden haben bisher weder eine deutsche noch eine europäische arzneimittelrechtliche Zulassung für "Lorenzos Öl" erteilt. Zur Zeit untersucht eine prospektiv kontrollierte, randomisierte placebokontrollierte Studie in Baltimore/USA die Wirkung der Behandlung von AMN mit Lorenzos Öl.
AMN wurde beim Kläger im Alter von 17 Jahren diagnostiziert. Seit 1990 ist er auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen. Er leidet an einer Störung der Blasen- und Darmfunktion, einer Nebennierenrindeninsuffizienz und einer testikulären Dysfunktion. Die Symptomatik verschlechterte sich zeitweise auch unter Gabe von Lorenzos Öl, die die Beklagte zunächst ab Anfang 2000 für 1 1/2 Jahre übernahm. Die Beklagte lehnte den von Chefarzt K. unterstützten Antrag des Klägers vom 20.08.2001 ab, weiterhin die Kosten für Lorenzos Öl zu tragen: Weder habe der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss) die neue Behandlungsmethode empfohlen noch habe Lorenzos Öl eine arzneimittelrechtliche Zulassung erhalten. Während die Klage ohne Erfolg geblieben ist, hat das LSG die Beklagte verpflichtet, den Kläger ab dem 01.10.2005 von den Kosten der Behandlung mit Lorenzos Öl freizustellen. Die Öl-Diät gehöre seit diesem Zeitpunkt zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung, weil es als Diätnahrungsmittel Nr 15.2.5. der (im Wege ministerieller Ersatzvornahme geänderten) Arzneimittel-Richtlinien (AMRL) unterfalle. Es hat im Übrigen die auf Kostenerstattung bis zum 30.09.2005 gerichtete Berufung zurückgewiesen.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 2 AMG iVm § 2 LFGB, § 1 DiätV, Nr 15.2.5 AMRL sowie der § § 2, 12 und 31 SGB V. Es handele sich bei Lorenzos Öl nicht um eine ergänzende bilanzierte Diät, sondern um ein medikamentenähnlich wirkendes Fertigarzneimittel, dem allerdings die Zulassung fehle. Wegen des Nebenwirkungsrisikos sei Lorenzos Öl grundsätzlich nicht zur Nahrungsaufnahme bestimmt, die Kalorienzufuhr sei bloßer Nebeneffekt. Auch bei einer Einordnung als diätetisches Lebensmittel stünden § § 2 und 12 SGB V einem Versorgungsanspruch entgegen, weil die Wirksamkeit umstritten und bisher nicht hinreichend nachgewiesen sei. Die Verurteilung zur Kostenfreistellung verstoße gegen den Sachleistungsgrundsatz.
Entscheidung:
Das BSG hat auf die Revision der beklagten Ersatzkasse das LSG-Urteil aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende SG-Urteil zurückgewiesen.
Zu Unrecht hat das LSG die Beklagte verpflichtet, den Kläger ab dem 01.10.2005 von den Kosten für die Behandlung mit Lorenzos Öl freizustellen. Der Kläger kann nach der einzig in Betracht kommenden Rechtsgrundlage des § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 SGB V weder Kostenerstattung für die Vergangenheit noch Versorgung mit Lorenzos Öl für die Zukunft verlangen.
Der Anspruch setzt voraus, dass die selbst beschaffte und zukünftig zu beschaffende Behandlung zum Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gehört. Daran fehlt es. Lorenzos Öl ist weder ein Heil- noch ein Hilfsmittel, sondern (nur) entweder ein Arznei- oder ein Lebensmittel. Es fehlt zwar an hinreichenden Feststellungen des LSG, um das Öl eindeutig den Arznei- oder Lebensmitteln zuordnen zu können. In beiden denkbaren Fällen ist die Beklagte jedoch nicht leistungspflichtig.
Wenn Lorenzos Öl als Arzneimittel zu qualifizieren ist, unterfällt es nicht der Leistungspflicht der GKV.
Als Arzneimittel handelt es sich nicht um ein Rezeptur-, sondern um ein Fertigarzneimittel, dem die grundsätzlich erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt. Es liegt auch keiner der Ausnahmetatbestände vor, die eine Leistungspflicht ohne Zulassung begründen: Die Erkrankung des Klägers stellt keinen Seltenheitsfall dar, der sich der systematischen wissenschaftlichen Erforschung entzieht. Obwohl die beim Kläger eingetretene gesundheitliche Beeinträchtigung ganz gravierend ist, lässt die Anwendung des Öls keine wesentliche positive Einwirkung auf die Erkrankung erwarten, die einen arzneimittelrechtlich zulässigen Einzelimport zu Lasten der GKV durch grundrechtsorientierte Auslegung ermöglicht. Die Lebenserwartung ist bei Patienten mit reiner AMN (wie bei dem Kläger) nicht verkürzt. Dem Kläger droht auch nicht in absehbarer Zeit - über den bereits eingetretenen, sehr schwerwiegenden Körperschaden hinaus - der zusätzliche nicht kompensierbare Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion. Vielmehr leidet er bereits weitgehend am Vollbild der Erkrankung (Rollstuhlpflicht, Blasen- und Mastdarmstörung, Nebennierenrindeninsuffizienz, testikuläre Dysfunktion). Nach der vom LSG durch Bezugnahme auf die Akten festgestellten Gutachtenlage besteht bei bereits so schwerwiegend geschädigten AMN-Patienten keine weitergehende als eine bloß ganz entfernte Hoffnung auf Besserung durch die Gabe von Lorenzos Öl.
Auch wenn man - alternativ - Lorenzos Öl als Lebensmittel ansieht, kann der Kläger es nicht beanspruchen.
Die Versorgung mit Lebensmitteln gehört grundsätzlich nicht zu den Aufgaben der GKV. Lorenzos Öl unterfällt entgegen der Auffassung des LSG auch nicht den Ausnahmen, in denen die GKV Lebensmittel zu leisten hat. § 31 Abs 1 Satz 2 SGB V zieht aus sachgerechten Gründen für solche Ausnahmefälle enge Grenzen, weil entsprechende normative Schutzvorkehrungen für Lebensmittel fehlen, wie sie das Arzneimittelrecht vorsieht. Das Öl gehört nicht zu den gesetzlich geregelten Produktgruppen des § 31 Abs 1 Satz 2 SGB V. Es ist nämlich weder Aminosäuremischung noch Eiweißhydrolysat, Elementardiät oder Sondennahrung im Sinne des SGB V, sondern eine Mischung aus den Glycerinestern Glycerol-Trioleat und Glycerol-Trierucat. Die Arzneimittelrichtlinien (AMRL), die das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung im Wege der Ersatzvornahme an Stelle des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) am 25.08.2005 erlassen hat, vermögen hieran nichts zu ändern. Zwar kann die Beklagte aus einer - möglichen - Verletzung des Selbstverwaltungsrechts des GBA durch die Ersatzvornahme nichts für die Unwirksamkeit der geänderten AMRL im hiesigen Rechtsstreit herleiten. Denn nur der GBA ist berechtigt, mit der Anfechtungsklage den Erlass einer im Wege der Ersatzvornahme erlassenen Richtlinie als Verwaltungsakt anzugreifen. Versicherte und Krankenkassen können solche Richtlinien lediglich nach den allgemeinen Regeln der Normenkontrolle gerichtlich überprüfen lassen. Eine solche inzidente Normenkontrolle ergibt hier, dass die AMRL vom 25.08.2005 insoweit nichtig sind, als sie den Kreis der zu Lasten der GKV verordnungsfähigen Lebensmittel über die engen abschließenden gesetzlichen Vorgaben des § 31 Abs 1 Satz 2 SGB V hinaus erweitern. Sie verstoßen damit gegen höherrangiges Recht, sodass daraus für einen Leistungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte auch bei einer Qualifizierung als Lebensmittel nichts herzuleiten ist.
Quelle: BSG - Pressemitteilung vom 28.02.08