Sozialrecht -

Auswirkungen rechtsmissbräuchlicher Beeinflussung der Aufenthaltsdauer

In der Bundesrepublik Deutschland geduldete Ausländer haben bei rechtsmissbräuchlicher Beeinflussung der Aufenthaltsdauer keinen Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozial­gerichts handelte ein Leistungsempfänger schon dann rechtsmissbräuchlich, wenn er trotz des auf Grund der Duldung bestehenden Abschiebeverbots nicht freiwillig ausreiste und hierfür keine an­erkennungswerten Gründe vorlagen. Mit einer Entscheidung vom 17. Juni 2008 hat der 8. Senat des Bundessozialgerichts diese Rechtsprechung nun aufgegeben.

Ausländer, die erfolglos die Anerkennung als Asylbewerber beantragt haben, erhalten nach Abschluss des Asylverfahrens, wenn ihre Abschiebung aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen bzw zur Wahrung politischer Interessen rechtlich oder tatsächlich nicht möglich ist, für die ersten Jahre keinen Aufenthaltstitel für den Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, sondern lediglich eine Duldung nach § 60a Aufenthaltsgesetz. Wegen des nicht gefestigten Aufenthaltsstatus werden ihnen in dieser und der Zeit des Asylverfahrens für 36 Monate (ab 28. Juli 2007 für 48 Monate) Grundleistungen nach § 3 Asylbewerber­leistungsgesetz (AsylbLG) gezahlt, die niedriger sind als nach dem Sozialgesetz­buch ‑ Grundsicherung für Arbeitsuchende ‑ (SGB II) bzw dem Sozialgesetzbuch ‑ Sozialhilfe ‑ (SGB XII). Erst nach Ablauf dieser Monate werden ihnen höhere Leistungen entsprechend dem SGB XII gewährt (sog Analog-Leistung). Die Zubilligung von Analog-Leistungen ist allerdings zusätz­lich an die Voraus­setzung geknüpft, dass der Ausländer die Aufenthaltsdauer nicht rechtsmissbräuch­lich beeinflusst hat; bei minderjährigen Kindern muss außerdem zumindest ein Elternteil, mit dem das Kind zusammen­lebt, ebenfalls Analog-Leistungen erhalten. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozial­gerichts handelte ein Leistungsempfänger schon dann rechtsmissbräuchlich, wenn er trotz des auf Grund der Duldung bestehenden Abschiebeverbots nicht freiwillig ausreiste und hierfür keine an­erkennungswerten Gründe vorlagen. 

Mit einer Entscheidung vom 17. Juni 2008 hat der 8. Senat des Bundessozialgerichts ‑ B 8/9b AY 1/07 R ‑ diese Rechtsprechung aufgegeben. Im von ihm entschiedenen Verfahren wurden sechs alge­rischen Staats­angehörigen (Eltern und vier Kinder), deren Aufenthalt wegen Reiseunfähigkeit mehre­rer Personen geduldet war, ab 1. Januar 2005 statt der zuvor schon bezogenen Analog-Leistungen, nur noch die niedrigeren Grundleistungen zugestanden, weil die Eltern vor der Einreise in die Bundes­republik Deutschland die Pässe vernichtet hätten. Sozialgericht und Landessozialgericht haben den Klagen mit Rücksicht auf die be­stehende Reiseunfähigkeit von drei Klägern stattgegeben.

Das Bundessozialgericht hat die Sache an das Landessozialgericht zurückverwiesen, weil geklärt werden muss, ob die klagenden Eltern vor der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland vorsätzlich die Pässe ver­nichtet haben, um die Aufenthaltsdauer zu beeinflussen, und sich damit sozialwidrig verhalten haben. Insoweit kommt es nur auf das eigene Fehlverhalten des einzelnen Klägers an. Zwar genügt für den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs nicht, dass die Kläger nicht freiwillig ausgereist sind; dass gegenwärtig Reiseunfähigkeit bei drei Personen vorliegt, steht der Annahme des Rechts­missbrauchs andererseits nicht entgegen. Ob das vorwerfbare Verhalten die Aufenthaltsdauer beein­flusst hat, ist vielmehr unter Berücksichtigung der gesamten Zeit zu beurteilen, die nach dem maß­geblichen Fehlverhalten verstrichen ist. Dabei muss nicht feststehen, dass die Kläger das Land zu einem früheren Zeitpunkt verlassen hätten; es genügt vielmehr die generelle Eignung des Fehlver­haltens zur Beeinflussung der Aufenthaltsdauer. Eine Beeinflussung der Aufenthaltsdauer liegt jedoch ausnahmsweise nicht vor, wenn die Kläger auch ohne das Fehlverhalten in der gesamten Zeit nicht hätten abgeschoben werden können. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Verschärfung der gesetzlichen Regelungen ab 1. Januar 2005 durch den Missbrauchstatbestand bzw ab 28. August 2007 durch die Verlängerung der Vorbezugszeit von Grundleistungen (48 statt 36 Monate) auch für laufende Fälle. Bei der Voraus­setzung der Vorbezugszeit handelt es sich auch nicht um eine Warte­zeitregelung, deren Voraussetzungen schon erfüllt wären, wenn der Ausländer andere Sozial­leistun­gen als die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG oder überhaupt keine Sozialleistungen bezogen hat.

Quelle: BSG - Pressemitteilung vom 17.06.08