Werden Arbeitnehmer vorübergehend einem anderen Unternehmen zur Durchführung von Montagearbeiten auf einer Baustelle überlassen, hat der dortige Vorgesetzte die Pflicht, die vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Kommt es ohne diese Sicherungsvorkehrungen zu einem Unfall, muss der Vorgesetzte die Aufwendungen des zuständigen Sozialversicherungsträgers ersetzen.
Darum geht es
Die klagende Berufsgenossenschaft beansprucht Ersatz ihrer Aufwendungen, die ihr infolge eines Arbeitsunfalls ihres Versicherten entstanden sind. Die mit der Errichtung des Dachs eines Kantinengebäudes in Paderborn beauftragte Arbeitgeberin des Beklagten verfügte nicht über genügend eigenes Montagepersonal.
Die Arbeitgeberin des Geschädigten stellte ihr daher zwei ihrer Arbeitnehmer - darunter den Geschädigten selbst - für die durchzuführenden Arbeiten zur Verfügung. Verantwortlicher auf der Baustelle war der im Bezirk des Landgerichts Mainz wohnhafte Beklagte. Am 21.11.2002 verlor der Geschädigte im Verlauf der Arbeiten das Gleichgewicht und stürzte von einer Mauer 5,50 m tief auf den darunter befindlichen Betonboden.
Er zog sich schwerste Schädel- und Wirbelverletzungen zu und ist seitdem querschnittsgelähmt. Die Unfallstelle war zum Unfallzeitpunkt nur in einzelnen Teilflächen mit Sicherheitsnetzen gegen Abstürze gesichert und entsprach nicht den einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften. Hierauf war der Beklagten kurz vor dem Unfall ausdrücklich hingewiesen worden.
Das Landgericht Mainz hat der Klage auf Ersatz der überwiegend für Heilbehandlung und Berufshilfe geleisteten Aufwendungen sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Aufwendungen stattgegeben und den beklagten Vorgesetzten zur Zahlung von insgesamt 942.436,13 € verurteilt
Wesentliche Entscheidungsgründe
Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung hat das OLG Koblenz nun zurückgewiesen.
Der Beklagte habe den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt und hafte gegenüber dem Sozialversicherungsträger im Wege des Rückgriffs nach § 110 Abs. 1 SGB VII. Er sei als Verantwortlicher in der konkreten Situation verpflichtet gewesen, den ihm unterstellten Arbeitnehmern keine die Gesundheit gefährdenden Arbeiten zuzuweisen.
Die Verpflichtung bestehe auch gegenüber Arbeitnehmern eines anderen Unternehmens, wenn sie im Rahmen einer vorübergehenden Tätigkeit im Betrieb eingesetzt würden. Seine Sorgfaltspflichten habe der Beklagte in ungewöhnlich hohem Maße verletzt. Dem geschädigten Arbeitnehmer sei kein Mitverschulden anzulasten, da er lediglich einer Anordnung seines weisungsbefugten Vorgesetzten entsprochen habe.
Die Haftung des Beklagten werde auch nicht durch arbeitsrechtliche Grundsätze zur Arbeitnehmerhaftung relativiert. Soweit die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung im Einzelfall im Hinblick auf ein mögliches Missverhältnis zwischen dem Verdienst des haftenden Arbeitnehmers - hier des Beklagten - und dem Schadensrisiko seiner Tätigkeit bzw. einer ihm drohenden wirtschaftlichen Existenzgefährdung Haftungserleichterungen in Betracht ziehe, bedürfe es der Heranziehung dieser Grundsätze nicht.
Denn der Sozialversicherungsträger könne nach seinem Ermessen unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers aufgrund der hier einschlägigen Regelung des § 110 Abs. 2 SGB VII auf Ersatzansprüche ganz oder teilweise verzichten. Aktuell gebe es für die klagende Berufsgenossenschaft aber auch keinen Anlass für einen derartigen Verzicht, da der Betriebshaftpflichtversicherer der Arbeitgeberin des Beklagten für den vom Beklagten verursachten Schaden einzutreten habe.
OLG Koblenz, Urt. v. 22.05.2014 - 2 U 574/12
Quelle: OLG Koblenz, Pressemitteilung v. 25.07.2014