Der BGH hat entschieden, dass während der Corona-Pandemie gefasste Beschlüsse einer Wohnungseigentümergemeinschaft nicht deshalb nichtig sind, weil die Wohnungseigentümer an der Eigentümerversammlung nicht persönlich, sondern nur mittels einer dem Verwalter erteilten Vollmacht teilnehmen konnten. Die Frage, ob sich allein daraus ein Beschlussanfechtungsgrund ergibt, ließ der BGH offen.
Darum geht es
Die Kläger sind Mitglieder der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Deren Verwalterin lud zu einer am 24.11.2020 „schriftlich“ stattfindenden Eigentümerversammlung ein, verbunden mit der Aufforderung an die Wohnungseigentümer, ihr unter Verwendung beigefügter Formulare eine Vollmacht und Weisungen für die Stimmabgabe zu erteilen.
Fünf von vierundzwanzig Wohnungseigentümern kamen der Aufforderung nach und bevollmächtigten die Verwalterin; die Kläger erteilten keine Vollmacht. In der Eigentümerversammlung war nur die Verwalterin anwesend.
Mit Schreiben vom 24.11.2020 teilte die Verwalterin mit, die Wohnungseigentümer seien bei der allein von ihr abgehaltenen Versammlung aufgrund erteilter Vollmachten vertreten gewesen. Sie übermittelte zugleich ein Protokoll über die gefassten Beschlüsse.
Die Beschlussmängelklage der Kläger hat das Amtsgericht Frankfurt am Main wegen Ablaufs der einmonatigen Frist für die Anfechtungsklage abgewiesen (Urt. v. 07.07.2022 - 381 C 495/20 (37)).
Auf die Berufung der Kläger hat das Landgericht Frankfurt am Main die Beschlüsse für nichtig erklärt (Urt. v. 27.03.2023 - 2-09 S 38/22). Dagegen wendet sich die Beklagte mit der von dem Landgericht Frankfurt am Main zugelassenen Revision.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die amtsgerichtliche Entscheidung wiederhergestellt, so dass die Klage endgültig abgewiesen worden ist.
Zu prüfen sind allein Nichtigkeitsgründe, weil die Kläger die einmonatige Klagefrist des § 45 Satz 1 WEG nicht gewahrt haben. Die Beschlüsse sind nicht nichtig.
Die Einberufung und Abhaltung der Eigentümerversammlung vom 24.11.2020 entsprachen allerdings nicht den Vorgaben des Wohnungseigentumsgesetzes. Eine Eigentümerversammlung setzt grundsätzlich ein physisches Zusammentreffen der Wohnungseigentümer voraus.
Eine rein virtuelle Eigentümerversammlung sieht das Wohnungseigentumsgesetz derzeit nicht vor. Eine sogenannte Vertreterversammlung, in der - wie hier - nur eine Person anwesend ist, die neben der Versammlungsleitung die Vertretung der abwesenden Eigentümer übernommen hat, ist zwar auch eine Versammlung, in der Beschlüsse gefasst werden können.
Sie ist aber nur dann zulässig, wenn sämtliche Wohnungseigentümer in ein solches Vorgehen eingewilligt und den Verwalter zu der Teilnahme und Stimmabgabe bevollmächtigt haben.
Daran fehlt es hier. Aufgrund der fehlenden Zustimmung aller Wohnungseigentümer hätte die Versammlung wohnungseigentumsrechtlich in Präsenz der Wohnungseigentümer stattfinden müssen.
Dass die Durchführung einer Eigentümerversammlung am 24.11.2020 wegen der Corona-Pandemie aufgrund infektionsschutzrechtlicher Bestimmungen verboten war, änderte nichts an den wohnungseigentumsrechtlichen Vorgaben für die Abhaltung einer Eigentümerversammlung.
Der Gesetzgeber hat in § 6 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (COVMG) lediglich angeordnet, dass der zuletzt bestellte Verwalter bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung eines neuen Verwalters im Amt bleibt (§ 6 Abs. 1 COVMG), und dass der zuletzt von den Wohnungseigentümern beschlossene Wirtschaftsplan bis zum Beschluss eines neuen Wirtschaftsplans fortgilt (§ 6 Abs. 2 COVMG).
Für die Durchführung von Eigentümerversammlungen hat er dagegen keine von §§ 23, 24 WEG abweichenden Regelungen getroffen, so dass diese auch während der Corona-Pandemie galten. Diese Regelungen hat die Verwalterin insgesamt außer Acht gelassen, indem sie die Versammlung ohne Teilnahmemöglichkeit aller Eigentümer alleine durchgeführt hat.
Das führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der Beschlüsse. Ein Beschluss ist nach § 23 Abs. 4 WEG nur dann nichtig, wenn er gegen eine Rechtsvorschrift verstößt, auf deren Einhaltung rechtswirksam nicht verzichtet werden kann.
Zwar kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Nichtigkeit eines Beschlusses daraus ergeben, dass er in den Kernbereich des Wohnungseigentums eingreift, wozu u.a. unentziehbare und unverzichtbare Individualrechte gehören.
Diese Rechtsprechung betrifft aber den Inhalt von Beschlüssen, während es hier um das Zustandekommen der Beschlüsse geht. Bei der Beschlussfassung ist das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht der Wohnungseigentümer verzichtbar.
Die in § 24 WEG für die Einberufung einer Eigentümerversammlung enthaltenen Formvorschriften gehören nicht zu den zwingenden Bestimmungen und Grundsätzen des Wohnungseigentumsgesetzes, weil sie dispositiv sind und durch Vereinbarungen abgeändert werden können.
Die Nichteinladung einzelner Wohnungseigentümer führt deshalb nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig nur zur Anfechtbarkeit der in der Versammlung gefassten Beschlüsse.
Ob eine Nichtigkeit dann in Betracht kommen könnte, wenn unter normalen Umständen allen Wohnungseigentümern die persönliche Teilnahme an der Versammlung verweigert wird, hat der Bundesgerichtshof dahinstehen lassen.
Jedenfalls während der Corona-Pandemie begangene Rechtsverstöße dieser Art führen schon deshalb nicht zur Nichtigkeit der Beschlüsse, weil die Abhaltung einer „echten“ Eigentümerversammlung unter Einhaltung der §§ 23, 24 WEG zum maßgeblichen Zeitpunkt unmöglich war.
Während der Corona-Pandemie befand sich der Verwalter in einer unauflöslichen Konfliktsituation. Er stand nämlich vor dem Dilemma, entweder das Wohnungseigentumsrecht oder das Infektionsschutzrecht zu missachten.
Einerseits galten wegen der nur rudimentären Regelungen in § 6 COVMG die wohnungseigentumsrechtlichen Vorgaben für Eigentümerversammlungen fort. Insbesondere musste nach § 24 Abs. 1 WEG mindestens einmal im Jahr eine Versammlung einberufen werden; von dieser Vorgabe waren die Verwalter nicht befreit.
Unabhängig davon konnte es auch während der Corona-Pandemie erforderlich sein, die Eigentümerversammlung mit gemeinschaftlichen Angelegenheiten zu befassen. Andererseits war die Durchführung einer Eigentümerversammlung über einen weiten Zeitraum infektionsschutzrechtlich ausgeschlossen.
Bei Durchführung einer Eigentümersammlung liefen die Verwalter Gefahr, gegen bußgeldbewehrte Corona-Schutzvorschriften zu verstoßen.
In dieser Ausnahmesituation erfolgte die Durchführung einer Vertreterversammlung regelmäßig aus Praktikabilitätserwägungen. Es lag auch im Interesse der Wohnungseigentümer, dass der Verwalter nicht, wie es teilweise gehandhabt wurde, unter Missachtung des Wohnungseigentumsrechts während der Corona-Pandemie gar keine Versammlung abhielt.
Durch eine Vertreterversammlung wurde jedenfalls die Fassung von Beschlüssen ermöglicht, die der gerichtlichen Kontrolle zugeführt werden konnten. Die Eigentümer konnten sich bei der Stimmabgabe durch den Verwalter vertreten lassen und diesem jeweils konkrete Weisungen erteilen, wie er in der Versammlung abstimmen sollte.
Die Frage, ob sich allein daraus, dass die Wohnungseigentümer an der Eigentümerversammlung nur durch Erteilung einer Vollmacht an den Verwalter teilnehmen konnten, ein Beschlussanfechtungsgrund ergibt, bedurfte wegen der versäumten Anfechtungsfrist keiner Entscheidung.
BGH, Urt. v. 08.03.2024 - V ZR 80/23
Quelle: BGH, Pressemitteilung v. 08.03.2024