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Umgangsrecht: BGH stärkt leibliche Väter

Allein der Umstand, dass sich die rechtlichen Eltern beharrlich weigern, den Umgang des Kindes mit seinem leiblichen Vater zuzulassen, genügt nicht, um einen entsprechenden Antrag gemäß § 1686a BGB zurückzuweisen. Das hat der BGH entschieden und damit die Rechte leiblicher Väter erheblich gestärkt. Der BGH entschied erstmals auf Grundlage der gesetzlichen Neuregelung im Umgangsrecht.

Sachverhalt

Aus der Beziehung des aus Nigeria stammenden Antragstellers zu einer verheirateten Frau gingen Ende 2005 Zwillinge hervor. Bereits vor deren Geburt hatte die Mutter wieder mit ihrem Ehemann und den aus der Ehe hervorgegangenen Kindern zusammengelebt; die Zwillinge zogen sie gemeinsam auf. Der Ehemann ist gem. § 1592 Nr. 1 BGB der rechtliche Vater der Zwillinge. Bereits seit deren Geburt begehrt der Antragsteller den Umgang mit ihnen, was von den Eltern wiederholt abgelehnt wurde. Im Januar 2006 leitete der mittlerweile in Spanien lebende Antragsteller das erste Umgangsrechtsverfahren ein.

Das Familiengericht ordnete Umgangskontakte an; das OLG hob diese Entscheidung mit der Begründung auf, ein Umgangsrecht des leiblichen Vaters, der nicht in einer sozialfamiliären Beziehung zu dem Kind stehe oder gestanden habe, sei nicht vorgesehen. Die Verfassungsbeschwerde des Antragstellers blieb erfolglos. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte im Dezember 2010 fest, dass die Versagung jeglichen Umgangs eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellt, wenn die Frage, ob ein solcher Umgang dem Kindeswohl dienlich wäre, nicht geprüft wurde.

Im März 2011 hat der Antragsteller erneut eine Umgangsregelung beantragt. Das Amtsgericht hat daraufhin einen monatlichen begleiteten Umgang angeordnet; auf die Beschwerde der Eltern hat das OLG den Umgangsrechtsantrag jedoch zurückgewiesen.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Aufgrund der Rechtsbeschwerde des Antragstellers hebt der BGH die Entscheidung des OLG auf, weil sie auf unzureichenden Ermittlungen beruht. Der leibliche Vater hat trotz der Vaterschaft eines anderen Mannes – hier des Ehemannes, der aufgrund seiner Ehe mit der Mutter zum Zeitpunkt der Geburt der Zwillinge die rechtliche Vaterschaft gem. § 1592 Nr. 1 BGB erlangt hat – ein Recht auf Umgang mit dem Kind, wenn er ein ernsthaftes Interesse an diesem gezeigt hat und der Umgang dem Kindeswohl dient. Dieser Anspruch ist aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – Feststellung der Verletzung von Art. 8 EMRK – mit Wirkung vom 13.07.2013 in § 1686a Abs. 1 Nr. 1 BGB eingefügt worden.

Nach Auffassung des BGH hat das OLG unzureichend ermittelt. Die zum damaligen Zeitpunkt neun Jahre alten Kinder hätten über ihre Abstammung informiert werden müssen. Dieser Pflicht hätten vorrangig die Eltern nachkommen müssen. Jedoch weigerten sich diese beharrlich, die Kinder über deren wahre Abstammung aufzuklären, weil sie eine eigene psychische Überforderung und dadurch mittelbar auch eine Beeinträchtigung des Kindeswohls befürchteten. Laut BGH genügt allerdings allein die Äußerung einer Befürchtung nicht. Das Familiengericht muss diesen Aspekt kritisch hinterfragen, d.h. gewissenhaft, mit Nachdruck und sorgfältig prüfen. Auch der in das Verfahren einbezogene Sachverständige hätte die Zwillinge sachgerecht über ihre Abstammung aufklären können.

Letztlich kommt dem Gericht die Aufgabe zu, das Kind im Rahmen seiner Anhörung zu informieren. Dabei liegt es im Ermessen des Gerichts, in welcher Art und Weise es für einen entsprechenden Informationsfluss an das Kind sorgt. Im vorliegenden Fall hat das OLG jedoch zu keinem Zeitpunkt während des Verfahrens die Zwillinge persönlich angehört.

Dem Gericht kommt auch die Aufgabe zu, die betroffenen Rechte und Interessen zu ermitteln und sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Die betroffenen Rechte sind zum einen das Familiengrundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG, zum anderen das durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Elterngrundrecht, über die Information des Kindes über dessen Abstammung zu bestimmen, und das Recht und Interesse des leiblichen Vaters. Dies alles ist im Hinblick auf das Kindeswohl zu prüfen. In diesem Zusammenhang stellt der BGH klar heraus, dass die Rechte der Eltern i.d.R. in dem Fall eingeschränkt sind, in dem der leibliche Vater ein Umgangsrecht nach § 1686a BGB begehrt.

Folgerungen aus der Entscheidung

Der BGH hat den ersten Fall zum Umgangsrecht des leiblichen Vaters nach der gesetzlichen Neuregelung von 2013 entschieden und somit Grundlegendes dazu festgelegt.

Nach § 1686a Abs. 1 Nr. 1 BGB hat der leibliche Vater ein Recht auf Umgang, sofern er ernsthaftes Interesse an dem Kind gezeigt hat und der Umgang dem Kindeswohl dient. Dieser Paragraf konkretisiert nunmehr zum einen die Voraussetzungen für den Umgang des leiblichen Vaters und zum anderen die Rolle der Beteiligten – also der rechtlichen Eltern, des leiblichen Vaters, des Sachverständigen und des Gerichts.

Dem Kindeswohl kommt nach Ansicht des BGH dabei eine grundlegende Bedeutung zu, und er stellt fest, dass das Umgangsrecht des leiblichen Vaters i.d.R. dem Kindeswohl dient. Für eine gesunde Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und das Finden der eigenen Identität ist es zwingend erforderlich, dass ein Kind seine wahre Abstammung kennenlernt. Um dieses Recht zu sichern, räumt der BGH dem Kind ein Recht auf Information und Anhörung ein. Das Kind darf nicht durch das Vorenthalten von Wissen oder die Übermittlung gefilterter Informationen über seine wahre Abstammung zu einem an einem entsprechenden, für es wichtigen Verfahren Unbeteiligten herabgestuft werden.

Wenn sich der leibliche Vater seit der Geburt des Kindes stets um eine Kontaktaufnahme mit den Eltern und dem Kind sowie um einen Umgang mit ihm – ggf. sogar auf gerichtlichem Weg – bemüht hat, wertet der BGH solche durchgängigen Anstrengungen als ernsthaftes Interesse an dem Kind.

Die Eltern des Kindes wollen den bestehenden behüteten Zustand ihrer Familie i.d.R. aufrechterhalten und sehen den leiblichen Vater daher als Störer ihrer Idylle. Für sie ist dieser ein Eindringling, dessen Auftauchen zu Fragen führt. Zugleich befürchten sie ggf. eine erhebliche psychische Belastung des Kindes. Dennoch müssen sie im Interesse des Kindeswohls ein Umgangsrecht zulassen. Bei der Durchführung des in § 1686a BGB festgelegten Umgangs des leiblichen Vaters dringt dieser zwangsläufig in eine bestehende Familie ein, was die Eltern i.d.R. unterbinden wollen.

Ließe man die Weigerung der Eltern jedoch als Hinderungsgrund gelten, würde die Regelung des § 1686a Abs. 1 Nr. 1 BGB nach Ansicht des BGH unterlaufen. Somit steht für den BGH außer Frage, dass die Eltern den Umgang mit dem leiblichen Vater allein durch ihre Ablehnung nicht verhindern können. Vielmehr sind sie – soweit der leibliche Vater Umgang begehrt – sogar verpflichtet, das Kind von einem gewissen Alter an – im vorliegenden Fall zehn Jahre – über seine Abstammung zu unterrichten.

Eine daraus resultierende psychische Belastung der Eltern ist – bedingt durch diese Situation – i.d.R. zu bejahen. Jedoch lässt sich diese allenfalls dann als Hinderungsgrund für den Umgang des leiblichen Vaters anführen, wenn zur psychischen Disposition der Eltern konkrete Feststellungen gemacht werden. Darüber hinaus ordnet der BGH an, dass das Gericht und der Sachverständige das Kind anhören müssen. Denn der Beweiswert eines Gutachtens wird insbesondere dadurch beeinträchtigt, dass der Sachverständige das Kind während der Befragung überhaupt nicht zum eigentlichen Gegenstand des Verfahrens – sprich zur Anbahnung des Kontakts zum leiblichen Vater – befragt hat.

Das Gutachten muss das Gericht eigenverantwortlich bewerten. Dabei kann es auf Aspekte aus dem Gutachten zurückgreifen; ist es aber der Ansicht, dass weitere Fragen zu klären sind, muss es das Kind selbst anhören. Wurde das Kind bis dahin weder von den Eltern noch vom Sachverständigen über seine Abstammung informiert, trifft diese Pflicht das Gericht. Konsequenterweise muss es sich dann selbst einen persönlichen Eindruck von dem Kind verschaffen. Bei der Aufklärung über die Abstammung muss es die bereits entwickelte Persönlichkeit und die geistige Entwicklung des Kindes berücksichtigen.

Praxishinweis

Mit diesem Urteil hat der BGH die Rolle des leiblichen Vaters erheblich gestärkt. Den Umgang mit dem leiblichen Vater wertet der BGH als wichtiges Element der Entwicklung der Persönlichkeit eines Kindes. Darüber hinaus betont der BGH, dass für die Identitätsfindung die Kenntnis über beide Elternteile wichtig ist. Daher ist das Kind bei entsprechender Reife auch über seine Abstammung aufzuklären, denn nach Ansicht des BGH setzt der Umgang des leiblichen Vaters mit dem Kind jedenfalls von einem bestimmten Alter an die Kenntnis des Kindes über seine wahre Abstammung voraus. In einem entsprechenden Verfahren ist nunmehr zwingend das Kind persönlich anzuhören, damit sich das Gericht – neben und möglicherweise auch losgelöst von den Ausführungen des Sachverständigen – einen eigenen Eindruck von dem Kind verschaffen kann.

BGH, Beschl. v. 05.10.2016 - XII ZB 280/15

Quelle: Ass. jur. Nicole Seier