Die Bestimmung der Religionszugehörigkeit eines Kindes durch den Vormund kommt nicht mehr in Betracht, wenn die zunächst allein sorgeberechtigte Mutter die Bestimmung vor dem vollständigen Entzug der elterlichen Sorge bereits vorgenommen hatte. Ob die Eltern insoweit selbst nach den jeweiligen religiösen Regeln leben, ist unerheblich. Das hat das OLG Hamm entschieden.
Sachverhalt
Die Antragsgegnerin, die Mutter eines 2007 geborenen Kindes, stammt aus Marokko und ist muslimisch. Der Vater des Kindes ist evangelisch. Unmittelbar nach der Geburt nahm das Jugendamt das Kind in Obhut und brachte es in einer Pflegefamilie unter. Bereits im April 2007 entzog das Familiengericht der Mutter Teile der elterlichen Sorge und übertrug sie auf das Jugendamt als Ergänzungspfleger. Im September 2008 entzog das Familiengericht der Mutter die elterliche Sorge insgesamt und übertrug sie auf das Jugendamt als Vormund. In mehreren Schreiben an das Familiengericht führte die Mutter aus, dass das Kind als Moslem aufwachsen solle. Ihre gegen die Entziehung der elterlichen Sorge gerichtete Beschwerde blieb ohne Erfolg.
Seit Mai 2009 lebt das Kind inkognito in einer Dauerpflegefamilie, in der die eigenen Kinder der Pflegeeltern auf der Grundlage christlicher Werte erzogen werden und der römisch-katholische Glaube aktiv gelebt wird. Das Kind nimmt regelmäßig am katholischen Religionsunterricht teil. Es soll nach den Vorstellungen der Pflegeeltern und des Vormunds getauft werden und im Mai 2016 die Erstkommunion empfangen. Im September 2015 hat das Familiengericht ohne persönliche Anhörung der Beteiligten oder des Kindes die Anordnung des Vormunds, dass das Kind in der römisch-katholischen Religion erzogen wird, familiengerichtlich genehmigt. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Mutter.
Wesentliche Aussagen der Entscheidung
Die Beschwerde der Mutter ist begründet, weil diese nach der Inobhutnahme des Kindes bis zum vollständigen Entzug der elterlichen Sorge mehrmals bestimmt hat, dass das Kind im muslimischen Glauben erzogen werden solle. Die Voraussetzungen für eine familiengerichtliche Genehmigung einer Bestimmung der Religionszugehörigkeit des Kindes durch den Vormund nach § 3 Abs. 2 RelKErzG liegen daher nicht vor. Eine Bestimmung steht einem Vormund oder Pfleger nur dann zu, wenn sie nicht bereits früher vorgenommen worden ist. Er ist an die Bestimmung der Religionszugehörigkeit durch die Mutter gebunden und kann sie nicht nachträglich ändern.
Eine bereits vorgenommene Bestimmung kommt dann in Betracht, wenn das Kind einer Religionsgemeinschaft durch religiöse Akte (Taufe, Beschneidung usw.) oder durch die schriftlich dokumentierte Aufnahme bereits beigetreten ist, aber auch dann, wenn schlüssige Handlungen den Willen des früheren Erziehungsberechtigten ernstlich und endgültig deutlich erkennbar werden lassen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.04.2012 – II-8 UF 70/12).
Die Mutter hat nach der Geburt des Kindes ihr Bestimmungsrecht hinsichtlich der religiösen Erziehung des Kindes i.S.v. § 3 Abs. 2 Satz 6 RelKErzG ausgeübt. Aus ihren Äußerungen im früheren Verfahren gegenüber dem Familiengericht und dem Sachverständigen wird ihr Wille, dass das Kind in Zukunft im islamischen Glauben erzogen wird, ernstlich und deutlich erkennbar. Sie wolle ihr Kind so aufziehen, wie sie von ihren Eltern erzogen worden sei. Der Vater sei mit dieser Erziehung einverstanden. Mit diesen Äußerungen hat die Mutter ihr Recht zur Bestimmung der religiösen Erziehung des Kindes ausdrücklich und unmissverständlich ausgeübt. Zum Zeitpunkt der Äußerungen war die Mutter noch Inhaberin von Teilen der elterlichen Sorge, insbesondere hinsichtlich der religiösen Erziehung des Kindes.
Folgerungen aus der Entscheidung
Das Jugendamt hat während der Inobhutnahme für das Wohl des Kindes zu sorgen und ist berechtigt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes notwendig sind. Der mutmaßliche Wille der Erziehungsberechtigten ist dabei angemessen zu berücksichtigen. Bis zu einer gerichtlichen Entscheidung über die Befugnis, die Religionszugehörigkeit des Kindes zu bestimmen, oder bis zum vollständigen Sorgerechtsentzug steht diese weiter den Erziehungsberechtigten zu.
Bei einer frühen Inobhutnahme des Kindes sind die Eltern zu keiner Zeit in der Lage, mit ihrem Kind die Religionszugehörigkeit tatsächlich zu praktizieren und zu leben. Die Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 6 RelKErzG erfordert jedoch lediglich ein Bekenntnis der Eltern zur Religionszugehörigkeit des Kindes, das jedenfalls auch nach außen dokumentiert wird. Ob die Eltern selbst streng nach den religiösen Regeln leben, ist unerheblich. Denn das Bestimmungsrecht der Eltern nach § 3 Abs. 2 Satz 6 RelKErzG setzt nicht voraus, dass diese ihren Glauben auch tatsächlich aktiv und unter Einhaltung der religiösen Regeln leben.
Praxishinweis
Ist das Kind vor dem Entzug der elterlichen Sorge einer Religionsgemeinschaft durch religiöse Akte (Taufe, Beschneidung usw.) oder durch die schriftlich dokumentierte Aufnahme bereits beigetreten oder lassen schlüssige Handlungen den Willen der früheren Erziehungsberechtigten ernstlich und endgültig deutlich erkennbar werden, ist der Vormund an diese Bestimmung der Religionszugehörigkeit durch die Eltern gebunden. Nach dem Entzug der elterlichen Sorge können weder das Jugendamt noch der Pfleger eine bereits vorgenommene Bestimmung noch ändern; diese bleibt vielmehr für alle Beteiligten bindend.
OLG Hamm, Beschl. v. 29.03.2016 – 2 UF 223/15
Quelle: Ass. jur. Nicole Seier