Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die Zuweisung einer gemeinsamen Ehewohnung nach der Scheidung eines kinderlosen Ehepaares sich vorrangig danach richtet, wer stärker auf ihre Nutzung angewiesen ist. Im Fall von zwei körperlich behinderten Ehegatten sind in die Abwägung insbesondere der Grad der Pflegebedürftigkeit sowie die sozialen Bindungen an das Umfeld einzubeziehen.
Darum geht es
Die Beteiligten heirateten 2005 und sind seit einem Jahr rechtskräftig geschieden. Die Ehe blieb kinderlos. Sie streiten um die Überlassung der in ihrem Miteigentum befindlichen Ehewohnung anlässlich ihrer Scheidung.
Die Wohnung befindet sich im Elternhaus des Antragstellers. Die 130 qm große Wohnung verfügt über ein Wohn- und ein Schlafzimmer, eine Küche, einen Flur, einen Anbau und zwei behindertengerechte Bäder.
Gegenwärtig nutzt der Antragsteller das Schlafzimmer und ein Bad und die Antragsgegnerin das Wohnzimmer und ein Bad.
Der Antragsteller ist seit 1984 querschnittsgelähmt und auf tägliche Pflege in Form der Unterstützung bei der An- und Entkleidung sowie beim Toilettengang angewiesen. Seine seit 2018 beschäftigte Pflegekraft ist mittlerweile seine Lebensgefährtin.
Die Antragsgegnerin ist seit 1976 querschnittsgelähmt und ebenfalls, wenn auch nicht im selben Umfang, auf eine Pflegekraft angewiesen. Sie benötigt keine Hilfe beim Toilettengang.
Das Amtsgericht hatte die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller die Wohnung ab dem 01.07.2022 zur alleinigen Nutzung zu überlassen.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Das OLG Frankfurt hat die Frist zur Nutzungsüberlassung bis zum 01.11.2022 verlängert und im Übrigen die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückgewiesen.
Ein Ehegatte könne die Überlassung der Ehewohnung anlässlich der Scheidung u.a. dann verlangen, wenn er auf deren Nutzung in stärkerem Maße angewiesen sei als der andere oder wenn die Überlassung aus anderen Gründen der Billigkeit entspreche.
Dabei seien alle die Lebensverhältnisse der Ehegatten bestimmenden Umstände in eine Gesamtabwägung einzustellen. Hier sei der Antragsteller insbesondere wegen der erforderlichen Anwesenheit einer Pflegeperson auf eine größere Wohnung angewiesen als die Antragsgegnerin.
Der Pflegebedarf des Antragstellers übersteige den der Antragsgegnerin. Der Antragsteller habe zudem bereits vor Einzug der Antragsgegnerin in der Wohnung gewohnt und sei in dem Ort, an dem er seit 1987 lebe, sozial verwurzelt.
Sein Bruder wohne ebenfalls im Haus. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Antragsteller eine in seiner Nähe wohnende Lebensgefährtin habe.
Trotz seiner besseren wirtschaftlichen Verhältnisse sei er damit stärker auf die Nutzung der Ehewohnung angewiesen als die Antragsgegnerin, die insbesondere nicht über vergleichbar intensive Bindungen im Ort verfüge.
Ergänzend sei zu berücksichtigen, dass im Rahmen der Billigkeitsabwägung auch dem schützenswerten Interesse des Antragstellers, im elterlichen Haus wohnen zu bleiben, erhebliches Gewicht zukomme.
Der Umstand, dass die Antragsgegnerin an der Finanzierung des Wohnungskaufes beteiligt gewesen sei, könne den höheren sozialen Bezug des Antragstellers zur bewohnten Wohnung nicht mindern.
Die Überlassungsfrist sei jedoch wegen der erheblichen Schwierigkeiten der Antragsgegnerin, angesichts ihrer körperlichen Einschränkungen angemessenen Ersatzwohnraum zu finden, bis November zu verlängern.
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 18.05.2022 - 6 UF 42/22
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Pressemitteilung v. 30.05.2022