Gina Sanders © fotolia.de

Kostenrecht, Top News -

Prozesskostenhilfe bei Revision

Wird die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen und zeitgleich über einen Prozesskostenhilfeantrag entschieden, so ist die Prozesskostenhilfe für die abgeschlossene Instanz in aller Regel zu gewähren. Wenn Fachgerichte die Revision zulassen, aber die Prozesskostenhilfe verweigern, verhalten sie sich widersprüchlich. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden.

Darum geht es

Die Beschwerdeführerin war mit einem ehemaligen Finanzbeamten verheiratet. Der frühere Ehemann fingierte Steuererstattungen sowie Eigenheimzulagen durch Manipulationen im behördlichen EDV-System und bewirkte dadurch Auszahlungen auf das eheliche Gemeinschaftskonto in siebenstelliger Gesamthöhe.

Deswegen wurde er im November 2008 u. a. wegen Untreue zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Das Finanzamt forderte die Zahlungen gesamtschuldnerisch von der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann durch Rückforderungsbescheide nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) zurück.

Die hiergegen erhobene Klage der Beschwerdeführerin wies das Finanzgericht durch Urteil vom 16.04.2013 im Wesentlichen als unbegründet ab und ließ die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu. Durch Beschluss vom gleichen Tage gewährte es Prozesskostenhilfe für die erste Instanz lediglich in Höhe des geringen Teilbetrags, mit dem die Klage Erfolg hatte, und wies den Prozesskostenhilfeantrag im Übrigen zurück.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Der angegriffene Beschluss des Finanzgerichts, mit dem Prozesskostenhilfe für die erste Instanz überwiegend versagt wird, verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von bemittelten und unbemittelten Personen bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Anforderungen an die Erfolgs­aussichten dürfen jedoch nicht überspannt werden.

Die Auslegung und Anwendung des Tatbestandsmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten, die dabei den - verfassungsgebotenen - Zweck der Prozesskostenhilfe zu beachten haben.

Das Bundesverfassungsgericht kann nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Rechtsschutzgleichheit beruhen. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn ein Fachgericht eine entscheidungserhebliche, aus seiner Sicht ungeklärte Rechtsfrage bereits im Verfahren der Prozesskostenhilfe zum Nachteil unbemittelter Personen „durchentscheidet“.

Soweit das Finanzgericht in dem angegriffenen Beschluss die Prozesskostenhilfe überwiegend versagt hat, hält dies einer Überprüfung am vorstehend beschriebenen Maßstab nicht stand.

Ist das Finanzgericht der Auffassung, dass die Sache eine oder mehrere Fragen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO aufwirft, und lässt es deshalb die Revision zu, sind bei zeitgleicher Entscheidung über einen Prozesskostenhilfeantrag in aller Regel die Voraussetzungen für eine rückwirkende Gewährung von Prozesskostenhilfe gegeben.

Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung setzt das Vorliegen einer bedeutsamen, bisher höchstrichterlich noch nicht geklärten Rechtsfrage voraus, auf die es für die Entscheidung der Sache ankommt. Derartige Rechtsfragen können im Verfahren der Prozesskostenhilfe grundsätzlich nicht entschieden werden.

Das Gericht verhält sich widersprüchlich, wenn es von einem solchen Fall ausgeht, gleichwohl aber Prozesskostenhilfe versagt. Ohne Gewährung von Prozesskostenhilfe könnte der nicht ausreichend bemittelte Kläger das erstinstanzliche Hauptsacheverfahren nicht durchlaufen; ihm bliebe so die Möglichkeit versagt, die Klärung der Grundsatzfrage zu seinen Gunsten in der Revisionsinstanz zu erstreiten. Das widerspricht in aller Regel dem Grundsatz der Rechtsschutzgleichheit.

Überzeugende Gründe dafür, dass hier ausnahmsweise etwas anderes gelten könnte, lassen sich den Entscheidungen des Finanzgerichts nicht entnehmen.

BVerfG, Beschl. v. 04.05.2015 - 1 BvR 2096/13

Quelle: BVerfG, Pressemitteilung v. 22.05.2015