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Kündigungsschutz: Wenn der Betriebsrat die Entlassung verlangt

Der Betriebsrat kann nach § 104 BetrVG auch die Entlassung eines Arbeitnehmers verlangen. Das BAG hat einen solchen Fall entschieden. Wird das Verfahren rechtskräftig im Sinne des Betriebsrats beendet, liegt ein dringendes betriebliches Erfordernis für eine ordentliche Kündigung vor. Der Beschluss ist dann präjudiziell für einen nachfolgenden Kündigungsschutzprozess.

Sachverhalt

Eine Sachbearbeiterin eines Versicherungsunternehmens wurde am 07.01.2015 wegen eines Zwischenfalls vom Vortag schriftlich abgemahnt. Mit Schreiben vom 08.01.2015 kündigte das Versicherungsunternehmen dann das Arbeitsverhältnis fristlos. Gegen diese Kündigung erhob die Arbeitnehmerin Kündigungsschutzklage vor dem ArbG Düsseldorf (12 Ca 506/15). Die Arbeitgeberin erklärte in diesem Verfahren, aus der Kündigung vom 08.01.2015 keine Rechte herzuleiten.

Mit Schreiben vom 29.04.2015 forderte der Betriebsrat die Entlassung, hilfsweise die Versetzung der Arbeitnehmerin wegen des Vorfalls vom 07.01.2015 und eines weiteren Vorfalls aus Oktober 2014. Die Arbeitgeberin kam diesem Verlangen nicht nach. Auf Antrag des Betriebsrats wurde der Arbeitgeberin durch rechtskräftigen Beschluss des ArbG Düsseldorf vom 21.08.2015 (11 BV 100/15) „aufgegeben, die Arbeitnehmerin zu entlassen“. Die Arbeitnehmerin war in dem Beschlussverfahren nach § 83 Abs. 3 ArbGG als Beteiligte angehört worden.

Die Arbeitgeberin kündigte daraufhin mit Schreiben vom 21.10.2015 das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Die Arbeitnehmerin hat gegen diese Kündigungen Kündigungsschutzklage erhoben.

Das ArbG Düsseldorf hat der Klage mit Urteil vom 01.02.2016 (4 Ca 6451/15) hinsichtlich der fristlosen Kündigung stattgegeben. Das LAG Düsseldorf hat die Berufung der Arbeitnehmerin und die Anschlussberufung der Arbeitgeberin gegen das Urteil mit Urteil vom 13.06.2016 (9 Sa 233/16) zurückgewiesen. Die (zugelassene) Revision der Klägerin hat das BAG zurückgewiesen.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Der rechtskräftige Beschluss des ArbG Düsseldorf vom 21.08.2015 (11 BV 100/15) entfaltet auch Rechtswirkungen im Verhältnis zur Klägerin. Danach hat die Beklagte die Klägerin zu entlassen. Ein solcher arbeitsgerichtlicher Beschluss stellt ein dringendes betriebliches Erfordernis i.S.d. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG für die ordentliche Kündigung dar. Ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB war nicht gegeben. Der Beklagten war durch den Beschluss des ArbG Düsseldorf nicht die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgegeben worden.

Folgerungen aus der Entscheidung

Das BAG entscheidet die Streitfrage nach der materiellen Rechtskraft zugunsten der präjudiziellen Wirkung eines arbeitsgerichtlichen Beschlusses gem. §§ 80 ff. BetrVG, § 104 BetrVG, mit dem einem Arbeitgeber aufgegeben wird, einen Arbeitnehmer zu entlassen. Der betroffene Arbeitnehmer kann im Kündigungsschutzverfahren grundsätzlich nicht mehr geltend machen, die dem Arbeitgeber im Beschlussverfahren aufgegebene Kündigung sei nicht rechtmäßig (BAG, Urt. v. 15.08.2002, 2 AZR 214/01 zu einem Ersetzungsbeschluss nach § 103 Abs. 2 S. 1 BetrVG).

Dann ist die Beteiligung des betroffenen Arbeitnehmers im Beschlussverfahren Voraussetzung der präjudiziellen Wirkung. Die individualrechtliche Wirkung des Beschlusses für den Arbeitnehmer erzwingt die analoge Anwendung des § 103 Abs. 2 S. 2 BetrVG. Der Eintritt der Präklusion scheidet deshalb aus, wenn der gekündigte Arbeitnehmer am Zustimmungsersetzungsverfahren verfahrensfehlerhaft nicht beteiligt worden ist.

Außerdem weicht das BAG von einem obiter dictum ab, nach dem durch § 104 BetrVG kein selbstständiger Kündigungsgrund geschaffen wird, sondern das Kündigungsverlangen des Betriebsrats einen solchen Kündigungsgrund voraussetzt (BAG, Urt. v.15.05.1997, 2 AZR 519/96). Zu Recht stützt das BAG seine Entscheidung darauf, dass ein rechtskräftiger Beschluss nach § 104 BetrVG selbst „ein dringendes betriebliches Erfordernis i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG für die ordentliche Kündigung“ darstellt. Ein solcher Beschluss darf nämlich nur ergehen, wenn die Voraussetzungen des § 104 Abs. 1 S. 1 BetrVG vorliegen – also Gründe, die den Arbeitgeber zum Ausspruch einer ordentlichen (bzw. außerordentlichen) Kündigung berechtigen.

Aus diesem Grund entfaltet die Abmahnung, die ein Arbeitgeber für ein bestimmtes Verhalten ausspricht, im Beschlussverfahren gegenüber dem Betriebsrat keine Wirkung (anders im Kündigungsschutzverfahren, vgl. BAG, Urt. v. 26.08.1993, 2 AZR 159/93). In der Abmahnung liegt ein konkludenter Verzicht des Arbeitgebers auf den Ausspruch einer Kündigung (BAG, Urt. v. 10.11.1988, 2 AZR 215/88). Hiervon bleibt der Kündigungsgrund an sich unberührt.

Praxishinweis

Mit dem Verlangen nach § 104 BetrVG macht der Betriebsrat eigene Rechte geltend. Das Verfahren bietet die Möglichkeit, Fehler des Arbeitgebers auszubügeln – wie der entschiedene Fall zeigt. Der Betriebsrat kann im Verfahren nach § 104 BetrVG einen selbstständigen Kündigungsgrund setzen, der die Entlassung des Arbeitnehmers rechtfertigt. Das Risiko einer fehlerhaften Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG besteht nicht, weil das Verlangen des Betriebsrats nach § 104 S. 1 BetrVG die Anhörung ersetzt.

Dem Arbeitnehmer ist dringend anzuraten, seine Rechte als Beteiligter nach § 83 Abs. 3 BetrVG bzw. § 103 Abs. 2 S. 2 BetrVG analog im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren erschöpfend wahrzunehmen, insbesondere auch Rechtsmittel einzulegen.

Die Frage nach Voraussetzungen und Wirkungen eines Beschlusses, mit dem dem Arbeitgeber die außerordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers aufgegeben wird, konnte das BAG offen lassen. Nach der Logik der vorliegenden Entscheidung stellt ein solcher Beschluss möglicherweise einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB dar.

BAG, Urt. v. 28.03.2017 - 2 AZR 551/16

Quelle: Rechtsanwalt und FA für Arbeitsrecht Dr. Martin Kolmhuber