Arbeitsrecht, Sozialrecht -

Massenentlassung, Elternzeit und behördliche Genehmigung

Bevor eine größere Anzahl von Arbeitnehmern innerhalb kürzerer Zeit entlassen werden kann, muss unter Umständen nach § 17 KSchG der Betriebsrat konsultiert und dies der Agentur für Arbeit angezeigt werden. Unter dem Begriff „Entlassung“ ist dabei die Kündigungserklärung zu verstehen. Das hat das BAG entschieden. In der Elternzeit ist zudem eine behördliche Genehmigung notwendig.

Sachverhalt

In einem Betrieb gab es ein Massenentlassungsverfahren. Um den Sachverhalt nachvollziehen zu können, sind die Verpflichtungen des Arbeitgebers in einem solchen Verfahren darzustellen:

Bevor ein Arbeitgeber zu einer oder mehreren betriebsbedingten Kündigungen greifen darf, muss er nicht nur seinen Betriebsrat anhören. Will der Arbeitgeber innerhalb eines bestimmten Zeitraums eine größere Anzahl von Arbeitnehmern entlassen, hat er das zuvor auch der Agentur für Arbeit anzuzeigen (§ 17 Abs. 1 S.1 KSchG.). Die Anzeigepflicht richtet sich nach der Betriebsgröße und der Anzahl der im gleichen Zeitraum geplanten Entlassungen. Die Voraussetzungen einer Massenentlassung sind nur relevant, wenn es um die Entlassung von mindestens fünf Arbeitnehmern innerhalb von 30 Tagen geht.

Allerdings ist insoweit zu berücksichtigen, dass den Entlassungen per Kündigung andere Beendigungen der Beschäftigungsverhältnisse, die ein Arbeitgeber veranlasst, wie z.B. ein Aufhebungsvertrag, gleichstehen. Das hat der EuGH bereits entschieden (EuGH, Entscheidung v. 11.11.2015, C-422/14).

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass unter Entlassung dabei nach ständiger Rechtsprechung des BAG sowie des EuGH (Entscheidung v. 27.01.2005, C- 88/03; BAG, Urt. v. 23.03.2006, 2 AZR 343/05; BAG, 21.03.2013, Urt. v. 2 AZR 60/12) nicht die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses verstanden wird, sondern vielmehr der Ausspruch der Kündigung maßgeblich ist.

Liegt eine solche Massenentlassung vor, muss der Arbeitgeber zudem seinem Betriebsrat in dem sog. Konsultationsverfahren rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfte erteilen und ihn schriftlich insbesondere unterrichten über

  • die Gründe für die geplanten Entlassungen,
  • die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer,
  • die Zahl und die Berufsgruppen der i.d.R. beschäftigten Arbeitnehmer,
  • den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen,
  • die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer,
  • die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien.

Erfolgt keine ordnungsgemäße Konsultation des Betriebsrats, ist die Kündigung unwirksam. Dieses Verfahren darf nicht mit dem Anhörungsverfahren vor einer Kündigung nach § 102 BetrVG verwechselt werden. Es handelt sich um ein zusätzliches Verfahren.

Die Arbeitnehmerin des Falls war in Elternzeit. Deshalb musste vor Ausspruch der Kündigung auch erst die zuständige Behörde der Kündigung zustimmen. Andere Arbeitnehmer erhielten bereits vorher die Kündigung und wurden in das Massenentlassungsverfahren aufgenommen. Da die Arbeitnehmerin jedoch durch die Elternzeit nicht in den vorbezeichneten 30-Tage-Zeitraum fiel, war der Arbeitgeber der Auffassung, sie in das Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat nicht einbeziehen zu müssen.

Das sah die Arbeitnehmerin anders und meinte, sie sei diskriminiert worden. Schließlich waren die anderen Kündigungen der Arbeitnehmer, bei denen der Betriebsrat konsultiert worden war, unwirksam. Die Konsultation war nämlich nicht ordnungsgemäß erfolgt. Wäre die Arbeitnehmerin nicht in Elternzeit gewesen, hätte sie zu den Mitarbeitern gehört, deren Kündigung unwirksam war. Daher fühlte sie sich wegen der Elternzeit diskriminiert und klagte gegen die Kündigung.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Das BAG hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung aufgelöst worden ist. Die Kündigung war unwirksam, da die Arbeitnehmerin sich in Elternzeit befand und daher die Kündigung erst nach Ablauf des Zeitraums von 30 Tagen erhalten hatte. Die übrigen Kündigungen waren mangels einer ordnungsgemäßen Konsultation des Betriebsrats ebenso unwirksam. Wäre die Frau nicht in Elternzeit gewesen, wäre auch ihre Kündigung entsprechend unwirksam. Daher war sie tatsächlich diskriminiert worden.

Das BAG konnte gar nicht anders urteilen. Das BVerfG hatte zuvor mit Beschluss vom 08.06.2016 (1 BvR 3634/13) entschieden, dass die Arbeitnehmerin tatsächlich in ihren Grundrechten aus Art. 3 und Art. 6 GG verletzt wurde. Die Arbeitnehmerin wird unzulässig wegen der Elternzeit und wegen ihres Geschlechts benachteiligt, wenn ihr der Schutz vor Massenentlassungen versagt wird. In diesen Fällen gelte der 30-Tage-Zeitraum auch dann als gewahrt, wenn die Antragstellung auf Zustimmung der zuständigen Behörde zu der Kündigung innerhalb dieses Zeitraums erfolgt ist.

Folgerungen aus der Entscheidung

Das BAG war an die Entscheidung des BVerfG gebunden. Gleichwohl entstehen erhebliche Probleme aus dieser Entscheidung, beispielsweise wenn die behördliche Zustimmung zur Kündigung in der Elternzeit erst außerhalb der 90-tägigen Frist des § 18 Abs. 4 KSchG erteilt wird. Denn Entlassungen sind innerhalb von 90 Tagen ab der behördlichen Entscheidung auszusprechen. Ebenfalls problematisch wird es, wenn eine Arbeitnehmerin in Elternzeit die Kündigung als Teil einer zweiten, § 17 KSchG unterfallenden Welle von Kündigungen erhält.

Praxishinweis

Die Entscheidung hat natürlich auch Auswirkungen auf andere Kündigungen, die nur mit Zustimmung einer Behörde ausgesprochen werden dürfen. Der Fall betrifft also nicht nur Arbeitnehmer in Elternzeit, sondern auch Arbeitnehmerinnen in Mutterschutz sowie schwerbehinderte Beschäftigte und ihnen Gleichgestellte.

BAG, Urt. v. 26.01.2017, 6 AZR 442/16

Quelle: Rechtsanwalt und FA für Arbeitsrecht Arno Schrader