Mitbestimmungs- und Überwachungsrechte eines Betriebsrats sind auf den Betrieb begrenzt, für den er errichtet wurde. Der unternehmensbezogene Gleichbehandlungsgrundsatz betrifft nicht die innerbetriebliche, sondern die überbetriebliche Lohngerechtigkeit. Deshalb kann ein lokaler Betriebsrat nach dem BAG nicht die Einsicht in alle Unternehmensgehälter verlangen.
Sachverhalt
Die Arbeitgeberin betreibt ein Verkehrsunternehmen. Sie führt den Omnibuslinienverkehr im Rahmen eines kommunalen Verkehrsverbunds mit insgesamt vier Betrieben durch. In jedem Betrieb wurde ein Betriebsrat errichtet. Es besteht ein Gesamtbetriebsrat. Einer der Betriebsräte besteht aus elf Mitgliedern und hat einen Betriebsausschuss gebildet.
Mit Schreiben vom 29.01.2015 begehrte der Antragsteller die Einsichtnahme in die Bruttolohn- und Gehaltslisten sämtlicher Mitarbeiter des Unternehmens. Er benötige die Einsichtnahme, um nachvollziehen zu können, ob die Arbeitgeberin den unternehmenseinheitlichen Gleichbehandlungsgrundsatz beachte und die von ihm repräsentierte Belegschaft nicht benachteilige. Die Arbeitgeberin lehnte dies mit dem Hinweis ab, der Betriebsrat sei nur für die Mitarbeiter desjenigen Betriebs zuständig, für den er gewählt sei, und könne daher nur Einsicht in deren Gehaltslisten erhalten. Zur Gewährung der Einsichtnahme in die betriebsbezogene Bruttoentgeltliste erklärte sie sich vorbehaltlos bereit.
Daraufhin hat der Betriebsrat beantragt, die Arbeitgeberin zu verpflichten, den Mitgliedern des Betriebsausschusses Einsicht in die Bruttolohn- und Gehaltslisten sämtlicher Arbeitnehmer aller vier Betriebe mit Ausnahme der leitenden Angestellten zu gewähren.
Das ArbG Elmshorn hat den Antrag mit Beschluss vom 03.06.2015 (1 BV 10 e/15) stattgegeben. Das LAG Schleswig-Holstein hat die dagegen gerichtete Beschwerde mit Beschluss vom 09.02.2016 (1 TaBV 43/15) zurückgewiesen. Aufgrund der Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hat das BAG mit Beschluss vom 26.09.2017 (1 ABR 27/16) die Entscheidung aufgehoben und den Antrag abgewiesen.
Wesentliche Aussagen der Entscheidung
Die Arbeitgeberin ist nicht verpflichtet, dem Betriebsrat den begehrten Einblick zu gewähren. Ein hierzu erforderliches Beteiligungsrecht oder eine sonstige Aufgabe des Betriebsrats kommen offensichtlich nicht in Betracht.
Der Betriebsrat ist im Rahmen des § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG berechtigt, in die Listen der Bruttolöhne und -gehälter Einblick zu nehmen. Das Einsichtsrecht setzt voraus, dass es zur Durchführung einer Aufgabe des Betriebsrats erforderlich ist. Der Aufgabenbezug ergibt sich regelmäßig aus der Überwachungsfunktion nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Hiervon wird auch die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Beachtung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes erfasst, die sich aus § 75 Abs. 1 BetrVG ergibt.
Die Mitbestimmungs- und Überwachungsrechte des Betriebsrats sind aber auf den Betrieb begrenzt, den er repräsentiert. Der unternehmensbezogene Gleichbehandlungsgrundsatz betrifft nicht die innerbetriebliche, sondern die überbetriebliche Lohngerechtigkeit und deren Gestaltung. Das schließt eine darauf gerichtete Aufgabe des lokalen Betriebsrats aus. Auch das vom Betriebsrat geltend gemachte Überwachungsrecht kann den von § 80 Abs. 2 BetrVG verlangten Aufgabenbezug nicht begründen.
Dem Betriebsrat geht es um die Prüfung, ob Beschäftigte seines Betriebs im Verhältnis zu anderen unternehmenszugehörigen Arbeitnehmern benachteiligt werden. Das bloße Ermitteln einer Rechtsgrundlage für mögliche Entgeltklagen einzelner Arbeitnehmer „ins Blaue hinein“ ist nicht Teil der Überwachungsbefugnisse nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Es steht in keinem Zusammenhang mit einem Mitbestimmungsrecht zur innerbetrieblichen Lohngestaltung.
Folgerungen aus der Entscheidung
Das BAG zieht notwendige Grenzen. Im Bereich der zwingenden Mitbestimmung gilt für das Verhältnis der betriebsverfassungsrechtlichen Organe der Grundsatz der Zuständigkeitstrennung. Hier sind ausschließlich entweder die lokalen Betriebsräte oder der Gesamtbetriebsrat oder der Konzernbetriebsrat zuständig. Die gesetzliche Zuständigkeitsverteilung ist zwingend und unabdingbar (vgl. z.B. BAG, Beschl. v. 14.11.2006 – 1 ABR 4/06). Dieser Grundsatz der Zuständigkeitstrennung gilt auch in Angelegenheiten, die nicht der zwingenden Mitbestimmung unterliegen.
Die Überwachungskompetenz des Betriebsrats aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG beschränkt damit auch sein Einsichtsrecht. Dieses Recht ist inhaltlich auf Unterlagen beschränkt, die für die Wahrnehmung betrieblicher Aufgaben erforderlich sind.
Praxishinweis
Fälle, die dem hier entschiedenen ähneln, sind nicht selten. Unter dem Vorwand der Wahrnehmung von Mitwirkungsrechten versucht der Betriebsrat, Informationen wegen etwaiger individualrechtlicher Ansprüche zu sammeln.
Abhängig von den jeweiligen Umständen sollte der Arbeitgeber im Einzelfall prüfen, ob ein Erstattungsanspruch des Betriebsrats nach § 40 Abs. 1 BetrVG wegen der außergerichtlichen Kosten des Beschlussverfahrens besteht. Der Betriebsrat muss bei der Rechtsverfolgung den Grundsatz der Kostenschonung des Arbeitgebers beachten, weil er auf dessen Kosten handelt. Er hat die Maßstäbe einzuhalten, die er anwenden würde, wenn seine Mitglieder die Kosten selbst tragen müssten. Die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers entfällt bei einer offensichtlich aussichtslosen Rechtsverfolgung des Betriebsrats.
Im vorliegenden Fall kam ein Beteiligungsrecht oder eine sonstige Aufgabe des Betriebsrats nach Auffassung des BAG „offensichtlich“ nicht in Betracht. Damit scheidet ein Anspruch des Betriebsrats aus § 40 Abs. 1 BetrVG aus. Es ist aber daran zu erinnern, dass das BAG hier im Bedarfsfall zugunsten des Betriebsrats einen eigenständigen Begriff der Offensichtlichkeit kreiert (vgl. z.B. BAG, Beschl. v. 29.04.1998 – 7 ABR 42/97).
BAG, Beschl. v. 26.09.2017 - 1 ABR 27/16
Quelle: Rechtsanwalt und FA für Arbeitsrecht Dr. Martin Kolmhuber