Wird ein Ehegatte stationär pflegebedürftig, entsteht ein besonderer persönlicher Bedarf, der vor allem durch die anfallenden Heim- und Pflegekosten bestimmt wird. Der Anspruch auf Familienunterhalt richtet sich dann ausnahmsweise auf die Zahlung einer Geldrente. Der Unterhaltsschuldner kann in diesem Fall einen entsprechenden Selbstbehalt geltend machen. Das hat der BGH entschieden.
Sachverhalt
Die Beteiligten sind Ehegatten und streiten über Familienunterhalt. Die Ehefrau lebt in einem Pflegeheim. Die monatlichen Pflegekosten werden im Wesentlichen aus Sozialhilfeleistungen bestritten. Davon nicht abgedeckt ist ein vom Sozialhilfeträger angesetzter Eigenanteil der Ehefrau in Höhe von monatlich 132,56 €, der aus dem sozialhilferechtlich einbezogenen Einkommen des Ehemannes errechnet worden ist. Der Ehemann ist Rentner und bezieht monatliche Renteneinkünfte von 1.042,82 € netto.
Die Ehefrau macht, vertreten durch ihre Betreuerin, Familienunterhalt in Höhe ihres Eigenanteils geltend. Das Amtsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Auf die Beschwerde des Ehemannes hat das OLG den Unterhalt auf monatlich 43 € herabgesetzt. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Ehefrau, die ihre Unterhaltsansprüche in voller Höhe weiterverfolgt.
Wesentliche Aussagen der Entscheidung
Die Rechtsbeschwerde bleibt ohne Erfolg. Nach § 1360 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Ehegatten einander verpflichtet, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten. Der Anspruch auf Familienunterhalt ist ein i.d.R. wechselseitiger Anspruch unter Ehegatten bei bestehender Lebensgemeinschaft. Nach der Trennung der Ehegatten tritt an seine Stelle der Trennungsunterhalt nach § 1361 Abs. 1 BGB, dessen Anwendbarkeit die Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft erfordert, § 1567 BGB.
Unter der Lebensgemeinschaft der Ehegatten ist primär deren wechselseitige innere Bindung zu verstehen. Die häusliche Gemeinschaft umschreibt dagegen die äußere Realisierung dieser Lebensgemeinschaft in einer gemeinsamen Wohnstätte und bezeichnet nur einen äußeren, freilich nicht notwendigen Teilaspekt dieser Gemeinschaft. Eine eheliche Lebensgemeinschaft kann auch dann bestehen, wenn die Ehegatten einvernehmlich eigenständige Haushalte unterhalten. Auch die dauerhafte stationäre Pflege eines Ehegatten in einem Pflegeheim führt, für sich genommen, nicht zur Trennung der Ehegatten.
Der Anspruch auf Familienunterhalt ist nicht auf die Zahlung einer für den Empfänger frei verfügbaren Geldrente gerichtet. Er dient der Befriedigung des Bedarfs sowohl der Ehegatten als auch der gemeinsamen minderjährigen Kinder, mithin des gesamten Familienverbands. Der Anspruch orientiert sich am Einvernehmen der Ehegatten und der von ihnen gewählten Aufgabenverteilung und umfasst gem. § 1360a BGB alles, was für die Haushaltsführung und die Deckung der persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten und eventueller Kinder erforderlich ist. Sein Maß bestimmt sich aber nach den ehelichen Lebensverhältnissen, sodass in Fällen einer Konkurrenz mit anderen Unterhaltsansprüchen § 1578 BGB als Orientierungshilfe herangezogen wird.
Der unterhaltsrechtliche Halbteilungsgrundsatz ist indessen nur auf den Regelfall zugeschnitten und dient dazu, das für Konsumzwecke zur Verfügung stehende Familieneinkommen bei gleichartiger Bedarfslage gerecht unter den Ehegatten aufzuteilen. Wird ein Ehegatte hingegen pflegebedürftig, entsteht ihm ein besonderer, i.d.R. existenznotwendiger Bedarf, der das Einkommen der Ehegatten nicht selten sogar übersteigt. Als unabweisbarer konkreter Bedarf kann er dann nicht auf einen hälftigen Anteil am Familieneinkommen beschränkt bleiben, sondern bemisst sich nach den für den Lebensbedarf des pflegebedürftigen Ehegatten konkret erforderlichen Kosten, somit bei stationärer Pflege nach den Heim- und Pflegekosten zuzüglich eines Barbetrags für die Bedürfnisse des täglichen Lebens.
Allerdings ist die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen auch beim Familienunterhalt als Anspruchsvoraussetzung zu beachten. Anders als beim häuslichen Zusammenleben muss dem Unterhaltspflichtigen daher auch beim Familienunterhalt der angemessene eigene Unterhalt als Selbstbehalt belassen werden.
Folgerungen aus der Entscheidung
Der maßgebende Selbstbehaltssatz ist nach einem Zwischenbetrag aus dem sogenannten angemessenen und dem notwendigen Selbstbehalt zu bemessen. Ob darüber hinaus dem Unterhaltspflichtigen auch gegenüber dem konkreten Bedarf des Unterhaltsberechtigten i.d.R. die Hälfte seines Einkommens als Selbstbehalt zu belassen ist, scheint dem BGH naheliegend, wird von ihm aber offengelassen.
Praxishinweis
Die Frage der Trennung der Ehegatten spielt im Unterhaltsrecht selten eine Rolle. Dagegen ist die Trennung der Ehegatten bei der Scheidung eine Voraussetzung. In der Praxis gibt es nicht selten Lebensgestaltungen, in denen die Ehegatten zwar nicht zusammenwohnen, aber dennoch nicht getrennt im familienrechtlichen Sinne sind – z.B. bei einem längeren Auslandsaufenthalt oder einer Inhaftierung eines Ehegatten. Dann bedarf es zusätzlich einer entsprechenden Äußerung oder eines sonstigen für den anderen Ehegatten erkennbaren Verhaltens, das unmissverständlich den Willen zum Ausdruck bringt, die eheliche Lebensgemeinschaft nicht weiterführen zu wollen. Ein solcher geäußerter Trennungswille ist auch bei einem demenzkranken Ehegatten möglich (OLG Hamm, Beschl. v. 16.08.2013 – II-3 UF 43/13).
Die Darlegungs- und Beweislast für eine Trennung trägt nach den allgemeinen Grundsätzen der Beteiligte, der sich auf einen Anspruch aus § 1361 BGB stützen will.
BGH, Beschl. v. 27.04.2016 – XII ZB 485/14
Quelle: Richter am Amtsgericht a.D. Dr. Wolfram Viefhues