Arbeitsrecht, Sozialrecht -

Kirchliches Arbeitsrecht: EuGH stärkt Arbeitnehmer

Für die Beratung und medizinische Pflege in einem Krankenhaus und die medizinische Leitung als Chefarzt erscheint die Akzeptanz des Eheverständnisses der katholischen Kirche nicht notwendig. Sie ist keine wesentliche Voraussetzung der beruflichen Tätigkeit. Das hat der EuGH entschieden und damit die Privilegierung von kirchlichen Arbeitgebern im deutschen Recht eingeschränkt.

Sachverhalt

Die Caritas (internationale Wohlfahrtsorganisation der katholischen Kirche) betreibt ein Krankenhaus in der Rechtsform einer GmbH. Der Chefarzt der Abteilung „Innere Medizin“ wird nach den Bedingungen der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22.09.1993 (GrO 1993) beschäftigt.

Nach Art. 4, Art. 5  GrO 1993 ist die Wiederverheiratung eines katholischen Arbeitnehmers – anders als bei konfessionslosen oder andersgläubigen Mitarbeitern – ein schwerwiegender Loyalitätsverstoß, der eine Kündigung rechtfertigt. Der Chefarzt ist katholischer Konfession und kirchlich verheiratet.

Nach der Scheidung seiner ersten Ehe heiratete er seine neue Lebensgefährtin standesamtlich, ohne dass seine erste Ehe nach kanonischem Recht für nichtig erklärt worden war. Daraufhin kündigte die GmbH das Arbeitsverhältnis zum 30.09.2009. Der Arzt erhob Kündigungsschutzklage.

Das ArbG Düsseldorf hat der Klage mit Urteil vom 30.07.2009 (6 Ca 2377/09) stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung hat das LAG Düsseldorf mit Urteil vom 01.07.2010 (5 Sa 996/09) zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Revision der Beklagten hat das BAG mit Urteil vom 08.09.2011 (2 AZR 543/10) zurückgewiesen.

Das BVerfG hat dieses Urteil des BAG mit Urteil vom 22.10.2014 (2 BvR 661/12) aufgehoben und die Sache an das BAG zurückverwiesen. Daraufhin hat das BAG das Verfahren mit Beschluss vom 28.07.2016 (2 AZR 746/14 (A)) ausgesetzt und dem EuGH im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV streiterhebliche Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vorgelegt. Der EuGH hat das Vorabentscheidungsersuchen mit Urteil vom 11.09.2018 (C-68/17) beschieden.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Innerstaatliche Regelungen sind an Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG zu messen. Dabei ist es Sache des nationalen Gerichts zu bestimmen, ob eine konkrete Anforderung einer wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten beruflichen Anforderung i.S.v. Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG entspricht. Der EuGH gibt im Vorlageverfahren Hinweise, die dem nationalen Gericht eine Entscheidung über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit ermöglichen.

Für die Beratung und medizinische Pflege in einem Krankenhaus und Leitung der Abteilung „Innere Medizin“ als Chefarzt erscheint die Akzeptanz des Eheverständnisses der katholischen Kirche nicht notwendig. Sie ist keine wesentliche Voraussetzung der beruflichen Tätigkeit i.S.v. Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG.

Das Erfordernis einer unionsrechtskonformen Auslegung umfasst die Verpflichtung der nationalen Gerichte, eine gefestigte ständige Rechtsprechung abzuändern, wenn sie auf einer unionsrechtswidrigen Auslegung des nationalen Rechts beruht.

Das in Art. 21 GRCh niedergelegte Verbot jeder Art von Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung hat als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts zwingenden Charakter und verleiht dem Einzelnen ein subjektives Recht, das er in einem Rechtsstreit geltend machen kann, der einen vom Unionsrecht erfassten Bereich betrifft.  Es obliegt dem vorlegenden Gericht, die in Rede stehende nationale Vorschrift unangewendet zu lassen, sofern es sich nicht in der Lage sehen sollte, sie unionsrechtskonform auszulegen.

Folgerungen aus der Entscheidung

Die Bedeutung der Entscheidung für die Frage der Privilegierung der Religionsgesellschaften (u.a. die Katholische Kirche) und Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen (vgl. Art. 137 Abs. 7 WRV), ist enorm.

Der EuGH bestätigt sein Urteil vom 17.04.2018 (C-414/16 „Egenberger“), nach der die Berufung auf die Religion als eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung der wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterworfen sein muss, um das Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz aus Art. 47 GRCh zu gewährleisten.

Angesichts der Inkonsistenz der GrO 1993, nach der eine leitende Tätigkeit, wie sie der Kläger ausübt, auch ohne Bindung an katholische Glaubenssätze ausgeübt werden kann – ggf. durch konfessionslose Beschäftigte –, kann es sich bei diesen nicht um eine Voraussetzung nach § 9 Abs. 2 AGG handeln. Der EuGH reduziert die mehr als kirchenfreundliche Rechtsprechung des BVerfG zu einer unbeachtlichen Rechtsmeinung, die mit Unionsrecht nicht vereinbar ist.

Mit dieser Entscheidung unterwirft der EuGH „verkündungsferne“ Tätigkeiten im kirchlichen Bereich einer uneingeschränkten Diskirminierungskontrolle anhand RL 2000/78/EG und Art. 21 GRCh.

Praxishinweis

Die Angelegenheit ist noch nicht rechtskräftig entschieden. Es bedarf einer abschließenden Entscheidung des BAG. Angesichts der Hinweise des EuGH vom 11.09.2018 sollte das Ergebnis feststehen. Davon geht wohl auch katholische Kirche aus. Nach der Reform ihrer Grundordnung im Jahr 2015 hat sie schon kurz nach Veröffentlichung der Schlussanträge des GA Wathelet am 31.05.2018 im vorliegenden Fall mitgeteilt, dass sie die Anforderungen an ihre Beschäftigten präzisieren wolle.

Im Grundsatz unterliegt zukünftig der gesamte Bereich der „verkündungsfernen“ Tätigkeiten von Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen der uneingeschränkten Diskriminierungskontrolle. Erfasst werden insbesondere Tätigkeiten in Krankenhäusern, Kindergärten, Schulen und Pflegeeinrichtungen sowie Beratungsstellen.

EuGH, Urt. v. 11.09.2018 – C-68/17

Quelle: Rechtsanwalt und FA für Arbeitsrecht Dr. Martin Kolmhuber