Zahlungen, die der Arbeitgeber erbringt, um eine unmittelbar bevorstehende Zwangsvollstreckung abzuwenden (Druckzahlungen), sind nach dem BGH nicht in der geschuldeten Weise erbracht und damit inkongruent. Dem hat sich das BAG angeschlossen, so dass eine inkongruente Zahlung des Arbeitgebers - wie eine Ausbildungsvergütung - uneingeschränkt anfechtbar sein kann. Anwälte haben Hinweispflichten.
Sachverhalt
Am 07.10.2010 stellte die DRV Knappschaft-Bahn-See einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Unternehmens, nachdem Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erfolglos geblieben waren. Ein Auszubildender wurde von diesem Unternehmen bis 2012 zum Metallbauer ausgebildet. Das Unternehmen verpflichtete sich im Oktober 2012 in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich zur Zahlung von 2.800 € netto rückständiger Ausbildungsvergütung. Zahlungen erfolgten erst im Dezember 2012 und Januar 2013 unter dem Druck von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen.
Am 09.05.2014 stellte das Finanzamt wegen Steuerforderungen und am 12.08.2014 das Unternehmen selbst einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Am 15.09.2014 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Unternehmens eröffnet. Der Eröffnungsbeschluss nennt als Grundlage der Eröffnung ausdrücklich auch den bereits am 07.10.2010 gestellten Insolvenzantrag.
Nachdem der Insolvenzverwalter den ehemaligen Auszubildenden zur Rückerstattung der erlangten Zahlungen wegen inkongruenter Deckung aufgefordert hatte, erhob dieser negative Feststellungsklage, die Rückerstattung nicht zu schulden. Nach Erhebung einer Widerklage des Insolvenzverwalters auf Rückzahlung der vom Kläger erstrittenen Ausbildungsvergütung hat er seine Klage zurückgenommen.
Das ArbG Rheine hat die Widerklage mit Urteil vom 16.06.2015 (5 Ca 696/15) abgewiesen. Das LAG Hamm hat auf die Berufung des Beklagten mit Urteil vom 08.04.2016 (16 Sa 944/15) der Widerklage stattgegeben. Die (zugelassene) Revision des Klägers hat das BAG mit Urteil vom 26.10.2017 (6 AZR 511/16) zurückgewiesen.
Wesentliche Aussagen der Entscheidung
Zahlungen, die der Arbeitgeber erbringt, um eine unmittelbar bevorstehende Zwangsvollstreckung abzuwenden (Druckzahlungen), sind nach st. Rspr. des BGH nicht in der geschuldeten Weise erbracht und damit inkongruent. Diese Einordnung hat der Gesetzgeber wiederholt unbeanstandet gelassen, weshalb sich das BAG der Rechtsprechung des BGH angeschlossen hat.
Es besteht kein Anlass, diese Rechtsprechung zu ändern. Der Entwurf eines „Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz“ (BT-Drs. 18/7054) sah eine Gesetzesänderung vor, nach der eine inkongruente Deckung nicht allein deswegen vorliegen sollte, weil die Befriedigung durch Zwangsvollstreckung erwirkt oder zu deren Abwendung bewirkt worden war. Der Gesetzgeber hat sich bewusst dagegen entschieden, solche Zahlungen als kongruent anzusehen (BT-Drs. 18/11199 S. 10 f.).
Liegt eine inkongruente Deckung vor, können auch Zahlungen des Arbeitgebers an Beschäftigte vom späteren Insolvenzverwalter gem. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO ohne weitere Voraussetzungen zur Masse zurückgefordert werden. Voraussetzung ist, dass die Zahlungen nach dem Insolvenzantrag vorgenommen worden sind, der zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens geführt hat. Das AG als Insolvenzgericht hatte im rechtskräftigen Eröffnungsbeschluss auch den Insolvenzantrag vom 07.10.2010 als Eröffnungsgrundlage bestimmt. Die Arbeitsgerichte waren als sogenannte Prozessgerichte im Anfechtungsstreit daran gebunden.
Anlass, eine verfassungsrechtlich legitimierte Anfechtungssperre bei Druckzahlungen zu erwägen, besteht nicht. Der Arbeitnehmer kann in solchen Fällen die zur Absicherung des Existenzminimums vorgesehenen und geeigneten staatlichen Hilfen wie Grundsicherung und Insolvenzgeld in Anspruch nehmen.
Folgerungen aus der Entscheidung
Das BAG bestätigt die obergerichtliche Rechtsprechung. Vor dem LAG Hamm hatte bereits das LAG Hessen im Urteil vom 15.08.2017 (15 Sa 1135/16) mit nahezu identischer Begründung das Vorliegen einer inkongruenten Deckung bejaht. Angesichts der Entscheidung des Gesetzgebers, von der Gesetzesänderung, die der Entwurf der Bundesregierung vom 16.12.2015 enthielt, Abstand zu nehmen, ist dem BAG uneingeschränkt zuzustimmen.
Praxishinweis
Der Fall zeigt deutlich, dass es für den Gläubiger oder seinen Rechtsberater im Einzelfall nicht vorhersehbar ist, das Risiko der Anfechtung einer durch Zwangsvollstreckung erlangten Zahlung abzuschätzen. Kenntnis von einem Insolvenzantrag eines anderen Gläubigers haben sie nicht, Einfluss auf den Inhalt des Eröffnungsbeschlusses ebenso wenig. Das Beschwerderecht nach § 34 Abs. 2 InsO gegen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens steht ausschließlich dem Schuldner zu.
Der Gläubiger hat also erst mit Bekanntgabe des Eröffnungsbeschlusses Kenntnis vom Zeitpunkt des Antrags, auf dem die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beruht – im vorliegenden Fall lag dieser Antrag vier (!) Jahre vor dem Eröffnungsbeschluss. Das Prozessgericht ist an den rechtskräftigen Eröffnungsbeschluss des Insolvenzgerichts gebunden (BGH, Urt. v. 26.09.2013 - VII ZR 227/12).
Der BGH bejaht recht großzügig die Haftung des Rechtsanwalts wegen Verletzung der Verpflichtung, den Mandanten auf die insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit von Zahlungen des Schuldners und das hiermit verbundene Ausfallrisiko hinzuweisen (vgl. BGH, Urt. v. 07.09.2017 - IX ZR 71/16). Aus Vorsichtsgründen sollte ein Rechtsanwalt, der mit der Durchsetzung einer Forderung beauftragt wird, erwägen, standardmäßig auf ein möglicherweise bestehendes Anfechtungsrisiko hinzuweisen.
BAG, Urt. v. 26.10.2017 – 6 AZR 511/16
Quelle: Rechtsanwalt und FA für Arbeitsrecht Dr. Martin Kolmhuber