Die StPO-Reform 2019 fasst § 29 StPO neu. Der Neuentwurf legt die Annahme zugrunde, dass Befangenheitsanträge unter statistischen Gesichtspunkten in aller Regel unbegründet sind.
Aus diesem Grund sollen die Möglichkeiten, Hauptverhandlungen zu obstruieren, beschränkt werden. Der bisher geltende, aber mit diversen Ausnahmen versehene Grundsatz der Wartepflicht bei Stellung eines zulässigen Befangenheitsantrags, wonach lediglich unaufschiebbare und im Übrigen keine Verfahrenshandlungen mehr vom abgelehnten Richter vorgenommen werden dürfen, soll abgeschafft werden.
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Stattdessen soll für vor oder nach Beginn der Hauptverhandlung gestellte Ablehnungsgesuche eine Fristenregelung eingeführt werden. Danach soll über Befangenheitsgesuche in der Regel innerhalb einer Frist von zwei Wochen oder aber (falls dieser nach Fristablauf liegt) bis zum Beginn des übernächsten Verhandlungstages entschieden werden. Als absolut spätester Zeitpunkt für die Entscheidung soll der Zeitpunkt vor der Urteilsverkündung bestimmt werden.
Innerhalb dieser Grenzen soll der abgelehnte Richter an der Hauptverhandlung mitwirken dürfen. Beibehalten werden soll der Grundsatz der Wartefrist hingegen mit Blick auf Entscheidungen, die auch außerhalb der Hauptverhandlung ergehen können (§ 29 Abs. 2 S. 3 StPO).
Befangenheitsanträge, deren Gründe bis zur Mitteilung über die Besetzung bereits bekannt geworden sind, müssen – gegebenenfalls gemeinsam mit der Besetzungsrüge (vgl. Ziff. 5) – innerhalb einer Woche ab Zustellung der Besetzungsmitteilung gestellt werden; anderenfalls sind sie präkludiert.
In der Gesetzesbegründung soll zudem klargestellt werden, dass Unterbrechungsersuchen zum Zwecke der Antragsprüfung schon nach geltender Rechtslage im Rahmen der Sachleitungsbefugnis des Vorsitzenden unterbunden werden können. Ein Regelungsbedarf bestehe insoweit nicht.
Kritik: Hier muss bezweifelt werden, dass in der Praxis überhaupt ein Regelungsbedarf besteht. Zwar ist die Statistik hinsichtlich der Begründetheit von Befangenheitsanträgen korrekt, sie verrät jedoch nur die halbe Wahrheit. Denn Teil der Statistik ist weiter, dass Befangenheitsanträge tatsächlich nur im niedrigen einstelligen Prozentbereich angebracht werden. Nachdem das Befangenheitsrecht erst vor zwei Jahren umfangreich geändert wurde, kann der Tatendrang des Gesetzgebers hier nicht wirklich nachvollzogen werden. Vielmehr sollten die jungen Neureglungen zunächst weiter auf ihre Praxistauglichkeit überprüft werden. Kritisch wird zudem vorgebracht, dass die geplante Abschaffung der Wartepflicht das Ablehnungsrecht zu Lasten von Beschuldigten völlig aushöhlen würde. Die vorgesehene Fristregelung würde es dem abgelehnten Richter ermöglichen, wesentliche Kernstücke der Beweisaufnahme bei entsprechend enger Terminierung an einer Mehrzahl von Hauptverhandlungstagen vorzunehmen, bevor über den Antrag überhaupt entschieden sei.