Dienstleistungsrichtlinie angenommen

Das Europäische Parlament hat die abgeänderte Dienstleistungsrichtlinie in erster Lesung angenommen.

Ziel der Richtlinie ist es, bürokratische Hindernisse zu beseitigen, um den Handel mit grenzüberschreitenden Dienstleistungen zu erleichtern. Nach heftiger Kritik in der Öffentlichkeit wurde der ursprüngliche Vorschlag der Kommission insbesondere hinsichtlich des Herkunftslandprinzips modifiziert. Der jetzt verabschiedete Kompromiss legt fest, dass sich Anbieter an das Arbeits-, Tarif- und Sozialrecht des Landes halten müssen, in dem sie ihre Dienstleistungen anbieten. Außerdem können den Dienstleistern aus Gründen der öffentlichen oder sozialen Sicherheit bestimmte Anforderungen vom Zielland auferlegt werden. Unter engen Voraussetzungen kann sogar der Zugang verwehrt werden.{DB:tt_content:2566:bodytext}

Der Beschluss des Europäischen Parlaments muss nun noch vom Rat der Europäischen Union gebilligt werden. Sollte der Rat die Änderungen des Parlaments nicht annehmen, würde ein Vermittlungsverfahren eingeleitet. Voraussichtlich wird die Richtlinie nicht vor 2008 in Kraft treten.

Einzelheiten:

Herkunftslandprinzip 

Im Europäischen Parlament am heftigsten umstritten war das sog. Herkunftslandprinzip. Dieses besagt, dass der Erbringer der Dienstleistung den Rechtsvorschriften des Landes unterliegt, in dem er niedergelassen ist, und nicht den Rechtsvorschriften des Landes, in dem die Dienstleistungen erbracht werden.

Die Änderungen des Europäischen Parlaments zum Herkunftslandprinzip betreffen vier Punkte:

Erstens das Recht der Dienstleistungserbringer, Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen ihrer Niederlassung zu erbringen (Freier Dienstleistungsverkehr). Die Mitgliedstaaten müssen für die freie Aufnahme und die freie Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit innerhalb ihres Hoheitsgebiets sorgen. Der Begriff "Herkunftslandprinzip" wird in der gesamten Richtlinie ersetzt durch den Begriff "Freier Dienstleistungsverkehr", um auch sprachlich den vorgenommenen Änderungen am ehem. Herkunftslandprinzip Rechnung zu tragen.

Zweitens haben die Mitgliedstaaten das Recht, den Dienstleistungserbringern bestimmte Anforderungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, des Umweltschutzes und der öffentlichen Gesundheit aufzuerlegen. Auch dürfen die Mitgliedstaaten ihre Bestimmungen über Beschäftigungsbedingungen, einschließlich derjenigen in Tarifverträgen, anwenden. Allerdings dürfen die Mitgliedstaaten den Dienstleistungserbringer weder direkt noch indirekt aufgrund dessen Staatsangehörigkeit diskriminieren. Etwaige Anforderungen müssen zudem "erforderlich", d.h. aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit oder zum Schutz der Gesundheit und der Umwelt gerechtfertigt sein. Ebenso müssen die Anforderungen verhältnismäßig sein, d.h. sie gewährleisten die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels und gehen nicht über das hinaus, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.

Drittens werden den Mitgliedstaaten bestimmte Anforderungen untersagt, etwa die Pflicht, auf ihrem Hoheitsgebiet eine Niederlassung zu unterhalten, die Pflicht, eine Genehmigung zu beantragen sowie die Verpflichtung zur Mitgliedschaft in einer Standesorganisation. Des Weiteren dürfen die Mitgliedstaaten beispielsweise nicht vom Dienstleistungserbringer verlangen, sich von ihren zuständigen Stellen einen besonderen Ausweis für die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit ausstellen zu lassen. Auch ein Verbot, auf ihrem Hoheitsgebiet eine bestimmte Infrastruktur (Geschäftsräume, Kanzlei, Praxis) zu errichten, die zur Erbringung der betreffenden Leistungen erforderlich ist, wird den Mitgliedstaaten untersagt.

Viertens muss die EU-Kommission spätestens fünf Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie einen Bericht darüber vorlegen, ob das Prinzip des freien Dienstleistungsverkehrs funktioniert und ggf. Harmonisierungsmaßnahmen vorschlagen.


Anwendungsbereich

Die Richtlinie gilt für Dienstleistungen, die von einem in einem EU-Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer angeboten werden. Sie soll die Niederlassungsfreiheit sowie den freien Dienstleistungsverkehr erleichtern, bei gleichzeitiger Gewährleistung einer hohen Qualität der Dienstleistungen.


Unter einer „Dienstleistung“ ist dabei jede selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit zu verstehen, die normalerweise gegen Entgelt ausgeführt wird. Das Merkmal der Entgeltlichkeit ist nicht gegeben bei Tätigkeiten, die der Staat oder eine regionale oder lokale Behörde ohne wirtschaftliche Gegenleistung im Kontext seiner bzw. ihrer jeweiligen Pflichten im sozialen, kulturellen, bildungspolitischen und justiziellen Bereich ausüben. Diese Tätigkeiten fallen nicht unter die Definition einer „Dienstleistung“ und werden somit nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst. Die Richtlinie beeinträchtigt auch nicht die Maßnahmen, die auf gemeinschaftlicher oder nationaler Ebene ergriffen werden, um die kulturelle oder sprachliche Vielfalt oder den Pluralismus der Medien zu schützen oder zu fördern. Ebenso wenig betrifft sie das Arbeitsrecht oder die nationale Sozialgesetzgebung in den Mitgliedstaaten.

Folgende Tätigkeiten sollen vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen werden:

  • Dienstleistungen von allgemeinem Interesse gemäß der Definition in den Mitgliedstaaten
  • Dienstleistungen im Zusammenhang mit Bankgeschäften, Krediten, Versicherungen, beruflicher oder privater Altersvorsorge, Geldanlagen oder Zahlungen
  • Dienstleistungen und Netze der elektronischen Kommunikation
  • Dienstleistungen auf dem Gebiet des Verkehrs einschließlich städtischer Verkehr, Taxen und Krankenwagen sowie Hafendienste
  • Dienstleistungen von Rechtsanwälten
  • Gesundheitsdienstleistungen, ob sie im Rahmen von Versorgungseinrichtungen gewährleistet werden oder nicht, ungeachtet der Art ihrer Organisation und Finanzierung auf nationaler Ebene und ihres öffentlichen oder privaten Charakters
  • Dienstleistungen im audiovisuellen Bereich, ungeachtet der Art ihrer Herstellung, Verbreitung und Ausstrahlung, einschließlich Rundfunk und Kino
  • Gewinnspiele, die einen Geldeinsatz bei Glücksspielen verlangen, einschließlich Lotterien, Spielkasinos und Wetten
  • Berufe und Tätigkeiten, die dauerhaft oder vorübergehend mit der Ausübung von Amtsgewalt in einem Mitgliedstaat verbunden sind, insbesondere Notare
  • Steuerwesen
  • Sicherheitsdienste
  • Zeitarbeitsagenturen
  • Soziale Dienstleistungen wie Dienstleistungen im Bereich des sozialen Wohnungsbau, Kinderbetreuung und
  • Familiendienste Dienstleistungen, durch die ein sozialpolitisches Ziel verfolgt wird

Was die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse betrifft, so gilt die Richtlinie nur für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, d.h. für solche, die einer Wirtschaftstätigkeit entsprechen und dem Wettbewerb offen stehen. Unter "Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ sind Dienstleistungen zu verstehen, die besonderen Gemeinwohlverpflichtungen unterliegen, die dem Dienstleistungserbringer vom betreffenden Mitgliedstaat auferlegt werden, damit bestimmte Ziele des Gemeinwohls erreicht werden. Darunter fallen insbesondere Leistungen der Verkehrs-, Energieversorgungs- und Kommunikationsnetze.

Die Richtlinie verlangt allerdings weder die Liberalisierung der öffentlichen oder privaten Einrichtungen vorbehaltenen Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse noch die Privatisierung der öffentlichen Einrichtungen, die Dienstleistungen erbringen. Auch müssen weder Monopole, die Dienstleistungen erbringen, abgeschafft werden noch Beihilfen, die mit den EU-Wettbewerbsvorschriften konform sind.

Auch berührt die Richtlinie nicht die Freiheit der Mitgliedstaaten zu definieren, was sie unter Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse verstehen, festzulegen, wie diese Dienstleistungen erbracht und finanziert werden sollten, und für sie besondere Auflagen zu erlassen.

Vom freien Dienstleistungsverkehr (ehem. Herkunftslandprinzip) sollen folgende Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, die in einem anderen Mitgliedstaat erbracht werden, ausgenommen werden:

  • Postdienste
  • Elektrizitätsübermittlung, -verteilung und -versorgung
  • Dienste der Gasweiterleitung, -verteilung, -versorgung und der -lagerung
  • Dienste der Wasserverteilung und der Wasserversorgung sowie der Abwasserentsorgung
  • Abfallbehandlung

Zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses

Die Mitgliedstaaten können die Aufnahme und die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit Genehmigungsregelungen unterwerfen, wenn dies etwa durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist.

„Zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses“ schließen unter anderem folgende Gründe ein: Schutz der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit und der öffentlichen Gesundheit, Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit einschließlich der Wahrung einer für alle offenen ausgewogenen medizinischen Versorgung, Verbraucherschutz, Schutz der Dienstleistungsempfänger, Arbeitnehmer, gerechte Bedingungen bei Handelstransaktionen, Betrugsbekämpfung, Schutz der Umwelt einschließlich des städtischen Lebensraums, der Tiergesundheit, des geistigen Eigentums, Bewahrung des nationalen historischen und künstlerischen Erbes oder Verwirklichung sozial- und kulturpolitischer Zielvorgaben.


Entsendung von Arbeitnehmern

Das Parlament streicht die Artikel zur Entsendung von Arbeitnehmern. Aus Gründen der Rechtssicherheit und der Kohärenz sollte jede Klärung im Bereich der Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der entsprechenden Richtlinie behandelt werden.

Das Parlament macht deutlich, dass das Prinzip des freien Dienstleistungsverkehrs nicht die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen berührt, die gemäß der Entsende-Richtlinie für Arbeitnehmer gelten, die in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates entsandt werden, um dort eine Dienstleistung zu erbringen. Die Entsende-Richtlinie legt Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen fest, die eingehalten werden müssen. Es handelt sich dabei u.a. um: Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten, bezahlten Mindestjahresurlaub, Mindestlohnsätze, Gesundheitsschutz, Sicherheit und Hygiene am Arbeitsplatz, Gleichbehandlung von Männern und Frauen sowie andere Nichtdiskriminierungsbestimmungen.

Quelle: Europäische Kommission - Pressemitteilung vom 16.02.06