Ein Autofahrer muss beim Befahren eines Parkhauses stets mit ein- und ausparkenden oder fahrenden Fahrzeugen rechnen und hat eine besondere Rücksichtnahmepflicht. Dies kann bei einem Unfall dazu führen, dass auch ein vorfahrtsberechtigter Fahrer mit 50 % haftet. Das hat das Amtsgericht München entschieden. Welche Vorfahrtsregel greift, kann von den baulichen Umständen abhängen.
Darum geht es
Am 23.02.2013 gegen 13.00 Uhr kam es im Erdgeschoss des Parkhauses eines großen Möbelhauses zu einem Verkehrsunfall. Beide Fahrzeugführer wollten das Parkhaus verlassen. Der beklagte Münchner fuhr mit seinem Pkw Passat geradeaus. Er befand sich auf der Straße, die einmal durchs ganze Parkhaus führt und von der links und rechts Querstraßen abzweigen, in denen sich die einzelnen Parkplätze befinden. Der Pkw Skoda der Klägerin kam aus Sicht des Beklagten von rechts aus einer dieser Querstraßen. Die Breite der Fahrstraße, auf der sich das Beklagtenfahrzeug befand, beträgt fünf Meter, die der Querstraßen sechs Meter. Alle Straßen sind asphaltiert.
Im Kreuzungsbereich kam es zum Unfall der beiden Fahrzeuge. Die Klägerin macht einen Schaden von insgesamt 5.138,75 € an ihrem Pkw Skoda geltend. Sie behauptet, der Passat sei mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit gefahren und habe die Vorfahrt missachtet. Die Versicherung des Beklagten hat vor dem Prozess bereits die Hälfte des Schadens in Höhe von 2.569,37 € beglichen. Mit der Klage verlangt nun die Klägerin den Restbetrag in gleicher Höhe.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Die zuständige Richterin am Amtsgericht München wies die Klage ab. Nach dem Urteil haften die beiden Unfallbeteiligten jeweils mit 50 %. Da die Versicherung des Beklagten vorgerichtlich bereits 50 % des Schadens der Klägerin beglichen hat, schulden der Beklagte und seine Versicherung nach dem Urteil der Klägerin keinen weiteren Schadensersatz.
Inwieweit die Vorfahrtsregel des § 8 Absatz 1 StVO auf einem Parkplatz Anwendung findet, hängt davon ab, ob die Fahrspuren lediglich dem ruhenden Verkehr d. h. dem Suchverkehr dienen, oder ob sie darüber hinaus Straßencharakter besitzen. Entscheidend für diese Beurteilung sind die sich den Kraftfahrern bietenden baulichen Verhältnisse, insbesondere die Breite der Fahrspuren sowie ihre Abgrenzung von den Parkboxen.
Im vorliegenden Fall sei wegen der breit ausgebauten Straßen ein gewisser Straßencharakter? anzunehmen und an den Schnittpunkten der Straßen die „rechts vor links“-Regel anzuwenden. Daneben gelte aber eine besondere und spezifische Rücksichtnahmepflicht aller Verkehrsteilnehmer, die bedeute, dass jeder Verkehrsteilnehmer auf einem solchen Parkplatz, auch ein von rechts Kommender, mit erhöhter Vorsicht fahren muss. Ein Nutzer muss also beim Befahren des Parkplatzes stets mit ein- und ausparkenden bzw. -fahrenden Fahrzeugen rechnen.
Das Gericht hat ein Sachverständigengutachten erholt und sich den Feststellungen des Sachverständigen angeschlossen. Danach hätte der Unfall vermieden werden können, wenn beide Beteiligte vorliegend ihre sich aus dem Parkplatzverhältnis ergebende besondere Rücksichtnahmepflicht erfüllt hätten.
Die Gegebenheiten auf dem Parkplatz lassen es vorliegend nicht zu, dass die Führerin des klägerischen Fahrzeugs sich blind auf ihr Vorfahrtsrecht nach der „rechts vor links“-Regel verlässt. Dies insbesondere, als die Straße, auf der sich der Beklagte befand, geradeaus durch das Parkhaus durchführt und von allen Verkehrsteilnehmern genutzt werden muss, um zur Ausfahrt zu gelangen. Auf dieser Straße ist ständig mit Begegnungsverkehr zu rechnen. Das Gericht kommt zu einer Haftungsverteilung von 50 % für beide Parteien.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Amtsgericht München, Urt. v. 23.06.2016 - 333 C 16463/13
Quelle: Amtsgericht München, Pressemitteilung v. 03.02.2017