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Verkehrsrecht -

BGH-Grundsatzurteil: „Großer Schadensersatz“ trotz Minderung?

Kann ein Kaufvertrag noch im Wege des „großen Schadensersatzes“ vollständig rückabgewickelt werden, wenn wegen desselben Mangels zuvor der Kaufpreis gemindert wurde? Der BGH hat diese wichtige Streitfrage im Sachmängelrecht verneint. Damit haben die BGH-Richter das Verhältnis der verschiedenen Käuferrechte genauer geklärt. Im Streitfall war ein Kfz-Leasingvertrag geschlossen worden.

Darum geht es

Die Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, schloss einen Leasingvertrag über ein von der Beklagten hergestelltes und zum Verkauf angebotenes Neufahrzeug der Marke Mercedes-Benz. Nachdem die Leasinggesellschaft das Fahrzeug zu einem Kaufpreis von 99.900 € von der Beklagten erworben hatte, wurde es im März 2014 an die Klägerin übergeben.

Im Zeitraum Oktober 2014 und Februar 2015 brachte die Klägerin das Fahrzeug wegen verschiedener Mängel (unter anderem: Kurzschluss am Steuergerät der Sitzeinstellung, Aussetzen der Gangschaltung, mehrere Fehler an der Elektronik) insgesamt siebenmal in eine Niederlassung der Beklagten. Die gerügten Mängel wurden jeweils von der Beklagten beseitigt.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass sämtliche aufgetretenen Mängel auf eine auf herstellungsbedingten Qualitätsmängeln beruhende Fehleranfälligkeit des Fahrzeugs zurückzuführen seien und erklärte unter Berufung hierauf mit ihrer Klageschrift gegenüber der Beklagten die Minderung des Kaufpreises (§ 437 Nr. 2, § 441 Abs. 1 Satz 1 BGB) in Höhe von 20 %.

In der Folgezeit suchte sie erneut eine Niederlassung der Beklagten zur Behebung weiterer Mängel (Defekt des Pulsationsdämpfers der Hydraulikpumpe; grundloses Aufleuchten der ABC-Lampe) auf. Der erstgenannte Mangel wurde behoben, bezüglich der zweiten Beanstandung vermochte die Beklagte einen Mangel nicht zu erkennen.

Kurze Zeit später stellte die Klägerin ihr Klagebegehren dahingehend um, dass sie wegen der von ihr geltend gemachten herstellungsbedingten Fehleranfälligkeit des Fahrzeugs nicht mehr die Rückzahlung des sich aus der Minderung des Kaufpreises ergebenden Betrages, sondern vielmehr den sogenannten großen Schadensersatz (Schadensersatz statt der ganzen Leistung, § 437 Nr. 3, § 281 Abs. 1 Satz 3, Abs. 5 BGB) verlangte, der auf Ersatz des dem Käufer durch die Nichterfüllung des gesamten Vertrages entstandenen Schadens sowie die Rückgewähr bereits erbrachter Leistungen gerichtet ist.

In den Vorinstanzen hat die Klage ganz überwiegend Erfolg gehabt. Dabei sind sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass die Klägerin wegen der von ihr bemängelten Fehleranfälligkeit des Fahrzeugs trotz der insoweit zuvor bereits erklärten Minderung des Kaufpreises noch wirksam zu einem Anspruch auf sogenannten großen Schadensersatz und damit zur vollständigen Rückabwicklung des Kaufvertrages habe übergehen können. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgte die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Der BGH hat entschieden, dass es einem Käufer verwehrt ist, im Anschluss an eine von ihm gegenüber dem Verkäufer bereits wirksam erklärte Minderung des Kaufpreises unter Berufung auf denselben Mangel anstelle oder neben der Minderung so genannten „großen Schadensersatz“ und damit die Rückabwicklung des Kaufvertrages zu verlangen.

Damit waren die Urteile der Vorinstanzen (in denen es überdies an hinreichenden Feststellungen betreffend den von der Klägerin geltend gemachten Sachmangel fehlt) bereits aus diesem Grund aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Nach § 437 Nr. 2, § 441 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Käufer einer mangelhaften Sache statt zurückzutreten den Kaufpreis durch Erklärung gegenüber dem Verkäufer mindern. Damit soll dem möglichen Käuferinteresse Rechnung getragen werden, die mangelhafte Sache zu behalten und (statt den Kaufvertrag rückabzuwickeln) durch Herabsetzung des Kaufpreises um den angemessenen Betrag das Äquivalenzinteresse zwischen Leistung und Gegenleistung wiederherzustellen.

Da es sich bei der Minderung nach § 441 BGB um ein Gestaltungsrecht handelt, mit welchem der Käufer durch einseitiges Rechtsgeschäft eine Änderung des Vertragsverhältnis unmittelbar herbeizuführen vermag, ist dieser ab Eintritt der besagten Gestaltungswirkung (Herabsetzung des Kaufpreises) an die von ihm erklärte Minderung gebunden.

Vorliegend vermochte die Klägerin mithin die bereits mit Zustellung ihrer Klageschrift gegenüber der Beklagten wirksam erklärte Minderung einseitig weder zurückzunehmen noch zu widerrufen, um stattdessen unter Berufung auf denselben Mangel nunmehr im Rahmen des sogenannten großen Schadensersatzes die Rückabwicklung des gesamten Kaufvertrages zu verlangen.

Nach der Konzeption des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts war die Klägerin aber ebenfalls daran gehindert, besagten großen Schadensersatz zusätzlich zu der von ihr nicht mehr zu beseitigenden Gestaltungswirkung der Minderung geltend zu machen und auf diesem Wege im Ergebnis nicht nur eine Herabsetzung des Kaufpreises zu erreichen, sondern den (gegebenenfalls um Gegenforderungen reduzierten) Kaufpreis insgesamt zurückzufordern.

Zwar gestattet es das Gesetz einem Käufer grundsätzlich, bei Mängeln der Kaufsache neben der Minderung des Kaufpreises zusätzlich den Ersatz ihm entstandener Schäden geltend zu machen (siehe die Verbindung „und“ zwischen § 437 Nr. 2 und Nr. 3 BGB). Dies gilt jedenfalls insoweit, als der Käufer zusätzlich zu dem mangelbedingten Minderwert der Sache Schäden erlitten hat (etwa entgangenen Gewinn).

Damit wird dem Käufer jedoch nicht die Möglichkeit eröffnet, nach einer bindend gewordenen Minderung des Kaufpreises wegen desselben Mangels anstelle dieses Gestaltungsrechts oder neben diesem einen auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichteten Schadensersatzanspruch statt der ganzen Leistung (sogenannten großen Schadensersatz) nach § 437 Nr. 3, § 281 Abs. 1 Satz 3, Abs. 5 BGB zu verlangen.

Denn mit der wirksamen Ausübung der Minderung hat ein Käufer zugleich das ihm vom Gesetz eingeräumte Wahlrecht zwischen Festhalten am und Lösen vom Kaufvertrag „verbraucht“. Das Sachmangelgewährleistungsrecht verlangt dem Käufer einer mangelhaften Sache im Rahmen von § 437 BGB die grundlegende Entscheidung ab, ob er den Kaufvertrag (unter Liquidation entstandener Vermögenseinbußen) weitergelten lassen oder ob er sich von diesem lösen will.

Dafür stehen ihm jeweils zwei Wege zur Verfügung. Will er die Kaufsache behalten, kann er entweder durch eine Gestaltungserklärung den Kaufpreis unter den Voraussetzungen des § 437 Nr. 2, § 441 BGB mindern oder im Wege der Geltendmachung eines Schadensanspruches statt der Leistung gemäß § 437 Nr. 3, § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB die Liquidation des Minderwerts erreichen (sogenannter kleiner Schadensersatz).

Will er sich hingegen vom Kaufvertrag lösen, kann er entweder nach § 437 Nr. 2, § 323 BGB den Rücktritt vom Vertrag erklären oder aber Schadensersatz statt der ganzen Leistung nach § 437 Nr. 3, § 281 Abs. 1 Satz 3 BGB fordern, der auf Ersatz des dem Käufer durch die Nichterfüllung des gesamten Vertrages entstandenen Schadens gerichtet ist und die Rückgewähr bereits erbrachter Leistungen (§ 281 Abs. 5 BGB) zur Folge hat (großer Schadensersatz).

Ein Käufer, der wirksam von dem Gestaltungsrecht der Minderung Gebrauch macht, bringt wegen des diesem Gewährleistungsrecht vom Gesetzgeber beigemessenen Inhalts seinen Willen zum Ausdruck, die Kaufsache trotz des ihr anhaftenden Mangels zu behalten und an dem Kaufvertrag mit dem durch die Herabsetzung des Kaufpreises wiederhergestellten Äquivalenzverhältnis festzuhalten.

Diese Erklärung ist integraler Bestandteil der Gestaltungswirkung der Minderung und mithin ab dem Wirksamwerden dieses Gestaltungsrechts für den Käufer bindend. In dieser Weise hat vorliegend auch die Klägerin mit ihrer in der Klageschrift ausgesprochenen Minderungserklärung verbindlich zum Ausdruck gebracht, den Kaufvertrag nicht rückgängig machen, sondern das (ihrer Auffassung nach) mit dem Mangel herstellungsbedingter Fehleranfälligkeit behaftete Fahrzeug zu einem reduzierten Kaufpreis behalten zu wollen.

Mit dieser Entscheidung für die Fortsetzung des Kaufvertrags ist es jedoch unvereinbar, dass sie nach erfolgter Minderung des Kaufpreises unter Berufung auf denselben Mangel nunmehr Schadensersatz statt der ganzen Leistung (§ 437 Nr. 3, § 281 Abs. 1 Satz 3 BGB) und damit die Rückabwicklung des Kaufvertrages (§ 281 Abs. 5 BGB) begehrt.

BGH, Urt. v. 09.05.2018 - VIII ZR 26/17

Quelle: BGH, Pressemitteilung v. 09.05.2018