BVerfG, Beschl. v. 14.07.2011 – 1 BvR 429/11
§ 10 Abs. 3 SGB V schließt Kinder miteinander verheirateter Eltern von der beitragsfreien Familienversicherung aus, wenn das Gesamteinkommen des Elternteils, der nicht Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse ist, höher ist als das des Mitglieds und bestimmte, im Gesetz festgelegte Einkommensgrenzen übersteigt. Durch die Regelung werden verheiratete Elternteile bei Vorliegen der einkommensbezogenen Voraussetzungen gegenüber unverheirateten Elternteilen schlechter gestellt, da bei ihnen ein solcher Ausschluss nicht erfolgt. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mit Urteil vom 12.02.2003 (1 BvR 624/01) entschieden, dass die Ausschlussregelung mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Darum geht es:
Die Beschwerdeführerin zu 1) ist in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert und mit einem selbständigen Rechtsanwalt verheiratet, der wie die vier gemeinsamen Kinder, die Beschwerdeführer zu 2) bis 5), privatversichert ist. Die Beschwerdeführer begehrten die Feststellung, dass die Kinder im Wege der Familienversicherung beitragsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung über ihre Mutter mitversichert seien. Ihre gegen die Ablehnung der Krankenkasse erhobene Klage blieb vor den Sozialgerichten ohne Erfolg.
Wesentliche Entscheidungsgründe:
Die 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie unbegründet ist. Das BVerfG hält damit an seiner Rechtsprechung im Urteil vom 12.02.2003 fest, dass die Ungleichbehandlung verheirateter Elternteile gegenüber unverheirateten Elternteilen im Hinblick auf die Familienversicherung nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) in Verbindung mit dem Grundrecht auf Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) verstößt.
Ungleichbehandlung ist gerechtfertigt
Die Ungleichbehandlung von Ehen und eheähnlichen Lebensgemeinschaften mit Kind findet hier ihre Rechtfertigung nach wie vor in der Befugnis des Gesetzgebers, typisierende und pauschalierende Regelungen zu treffen.
Eine Ausschlussregelung, die sich in gleicher Versicherungs- und Einkommenskonstellation auch auf Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft erstreckte, wäre für die Krankenkasse nicht handhabbar. Für sie würde es eine faktisch nicht zu leistende Aufgabe darstellen, kontinuierlich zu prüfen, ob eine solche Lebensgemeinschaft besteht, immer noch oder wieder besteht. Demgegenüber ist die Ehe ein rechtlich klar definierter und leicht nachweisbarer Tatbestand.
Bei Gesamtbetrachtung keine Schlechterstellung gegeben
Die punktuelle gesetzliche Benachteiligung der verheirateten Elternteile durch Ausschluss der Kinder von der Familienversicherung bei Vorliegen der einkommensbezogenen Voraussetzungen ist hinzunehmen, weil sie - wie das BVerfG bereits in seiner Entscheidung vom 12.02.2003 festgestellt hat - bei einer Gesamtbetrachtung der gesetzlichen Regelung nicht schlechter gestellt sind als Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft. Während der Ehepartner, der Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung ist, dem anderen Ehepartner, der nicht selbst Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung ist, beitragsfreien Versicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung vermitteln kann, ist eine solche Möglichkeit den Partnern einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft nicht eröffnet.
Hinreichender Ausgleich über einkommensteuerliche Berücksichtigung von Beiträgen
Zwar kommt dieser Vorteil nicht den oberhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze gutverdienenden Ehegatten zugute. Für diese Gruppe wird der Ausschluss der Familienversicherung der Kinder jedoch über die einkommensteuerrechtliche Berücksichtigung von Krankenversicherungsbeiträgen der Kinder hinreichend ausgeglichen, um die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. An der verfassungsrechtlichen Beurteilung hat sich durch das am 01.04.2007 in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung nichts geändert. Dadurch wird der Bund verpflichtet, den gesetzlichen Krankenkassen als Abgeltung für versicherungsfremde Leistungen Zuschüsse zu gewähren. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer wird der Bundeszuschuss jedoch nicht gezielt zur Finanzierung der Familienversicherung verwendet, sondern fließt in den allgemeinen Haushalt der Krankenkassen und führt daher im Ergebnis zu einer alle Beitragszahler der gesetzlichen Krankenkassen gleichmäßig begünstigenden Ermäßigung.
Eine Änderung der Rechtslage ergibt sich auch nicht aus der von den Beschwerdeführern herangezogenen Entscheidung des BVerfG vom 13.02.2008 (2 BvL 1/06) zur einkommensteuerrechtlichen Berücksichtigung von Krankenversicherungsbeiträgen der Kinder. Diese verlangt die einkommensteuerrechtliche Berücksichtigung der Krankenversicherungsbeiträge für die ca. 10 % privat versicherten Kinder, trifft aber keine Aussage dazu, ob Kinder auch dann im System der gesetzlichen Krankenversicherung beitragsfrei versichert werden müssen, wenn ein Elternteil mit einem Verdienst oberhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze, der das Einkommen des pflichtversicherten Ehegatten überschreitet, nicht pflichtversichert ist.
Quelle: BVerfG - Pressemitteilung vom 14.07.11