Wird die gesetzliche Kündigungsfrist für den Arbeitnehmer in den AGB des Arbeitsvertrags erheblich verlängert wird, kann dies auch dann nach § 307 BGB eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers darstellen, wenn die Frist für den Arbeitgeber in gleicher Weise verlängert wird. Das hat das BAG im Fall einer dreijährigen arbeitsvertraglichen Kündigungsfrist entschieden.
Sachverhalt
Ein Arbeitnehmer war seit Ende 2009 als Speditionskaufmann in Leipzig tätig. Er hatte eine 45-Stunden-Woche und bekam dafür 1.400 € brutto. Nach zweieinhalb Jahren änderten die Parteien die Arbeitsvertragsbedingungen, und das monatliche Gehalt wurde auf einen Betrag zwischen 2.400 € und 2.800 € brutto – je nach Ergebnis des Betriebs – angehoben. Bis Ende Mai 2015 sollte das Gehalt dann nicht weiter angepasst werden.
Gleichzeitig verlängerten die Parteien die gesetzliche Kündigungsfrist für beide Seiten auf drei Jahre zum Monatsende. Der Arbeitgeber hatte die entsprechenden vertraglichen Vereinbarungen formuliert. Dann musste allerdings ein Kollege des Speditionskaufmanns feststellen, dass auf den Computern des Arbeitgebers das Programm „PC Agent“ installiert war. Die Software überwacht und protokolliert unbemerkt die Aktivitäten aller Benutzern eines Computers. Die Überwachung erfasst nicht nur die gebräuchlichsten Aktivitäten wie Tastaturanschläge, besuchte Webseiten oder Screenshots, sondern auch Internetaktivitäten wie gesendete und empfangene Emails sowie vieles mehr.
Die Folge dieses Vorgangs war, dass der Speditionskaufmann und fünf andere Arbeitnehmer Ende 2014 zum 31.01.2015 ihre Arbeitsverhältnisse kündigten. Der Speditionskaufmann hielt also seine dreijährige Kündigungsfrist ganz bewusst nicht ein. Deshalb klagte der Arbeitgeber auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis bis Ende Dezember 2017 fortbestehen sollte.
Wesentliche Aussagen der Entscheidung
Das BAG stellte sich auf die Seite des Arbeitnehmers. Es handelte sich bei den vertraglichen Absprachen um AGB. Und die in AGB enthaltene Verlängerung der Kündigungsfrist auf drei Jahre benachteiligte den Arbeitnehmer im konkreten Einzelfall entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Sie war deshalb nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.
Bei einer vom Arbeitgeber vorformulierten Kündigungsfrist, die die Grenzen des § 622 Abs. 6 BGB und des § 15 Abs. 4 TzBfG einhält, aber wesentlich länger ist als die gesetzliche Regelfrist des § 622 Abs. 1 BGB, ist nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls unter Beachtung von Art. 12 Abs. 1 GG zu prüfen, ob die verlängerte Frist eine unangemessene Beschränkung der beruflichen Bewegungsfreiheit darstellt. Das war eindeutig der Fall.
Beachtenswert sind dabei zwei Dinge: Der Nachteil für den Arbeitnehmer wurde nicht durch die vereinbarte Gehaltserhöhung aufgewogen, zumal die Zusatzvereinbarung das Vergütungsniveau langfristig auf einen bestimmten Stand festlegte. Das zweite Beachtenswerte ist, dass durch die Verlängerung der gesetzlichen Kündigungsfristen auch dann eine unangemessene Benachteiligung entgegen den Geboten von Treu und Glauben i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB liegen kann, wenn die Kündigungsfrist für den Arbeitgeber in gleicher Weise verlängert wird.
Folgerungen aus der Entscheidung
Fast alle Arbeitgeber verwenden Formulararbeitsvertrag. Darin sind vorformulierte Vertragsbedingungen enthalten, also das typische „Kleingedruckte“. Das BAG hat dazu klargestellt, dass der Formulararbeitsvertrag über die §§ 305 ff. BGB nach dem Recht der AGB beurteilt wird (BAG, Urt. v. 27.07.2005 – 7 AZR 486/04). Das bedeutet: Alle Klauseln im Formularvertrag, die Arbeitnehmer einseitig benachteiligen oder mit denen diese nicht rechnen müssen, sind unwirksam. Und eine ganze Reihe von Klauseln sind durch das BAG bereits gekippt worden.
Praxishinweis
Der Fall ist auch deshalb außergewöhnlich, da hier der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer auf Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung verklagt hatte – etwas, das sehr selten ist. Zwar versuchen gelegentlich Arbeitgeber bei Nichteinhalten der Kündigungsfrist durch einen Arbeitnehmer und gleichzeitiger Aufnahme einer Konkurrenztätigkeit, letztere zu verbieten. Die durch den Arbeitgeber beantragte Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung ist zwar außergewöhnlich, jedoch rechtlich nicht unmöglich.
Das sollten die Arbeitnehmer im Hinterkopf behalten, die eine vereinbarte Kündigungsfrist nicht einhalten. Außerdem gilt es in solchen Fällen, stets zu prüfen, ob u.U. ein Vertragsstrafeversprechen im Arbeitsvertrag vereinbart wurde. Denn dann kann der Arbeitnehmer nicht nur zu einer Unterlassung einer möglichen neuen Tätigkeit verpflichtet sein, sondern muss auch i.d.R. ein Bruttomonatsgehalt als Vertragsstrafe an seinen ehemaligen Arbeitgeber zahlen. Und die vereinbarte Vertragsstrafe kann auch noch wesentlich höher ausfallen.
BAG, Urt. v. 26.10.2017 – 6 AZR 158/16
Quelle: Rechtsanwalt und FA für Arbeitsrecht Arno Schrader