BSG, Urt. v. 15.06.2010 - B 2 U 12/09 R
Das BSG hatte zu entscheiden, ob Versicherungsschutz (Arbeitsunfall als Nothelfer) besteht, wenn ein Helfer ein eingeschlossenes Kind befreit und sich dabei verletzt.
Darum geht es:
Der damals vierzehnjährige Schüler hielt sich auf einem Spielplatz auf. An diesen grenzt das Betriebsgelände eines Energieversorgungsunternehmens an. Das Betriebsgelände ist komplett umzäunt und durch ein Tor verschlossen. Ein sechs Jahre altes Mädchen war vom Spielplatz aus auf die andere Seite des Zauns auf das Gelände des Energieversorgungsunternehmens geraten, war dort eingeschlossen und weinte anhaltend. Der Mutter gelang es nicht, ihre Tochter zur Rückkehr auf den Spielplatz anzuleiten.
Der Schüler bot seine Hilfe an. Im Einverständnis der Mutter kletterte er über den Zaun und verbrachte das Kind zurück auf den Spielplatz. Als er danach selbst über den Zaun stieg, blieb er mit dem rechten Mittelfinger zwischen dessen Metallstäben hängen und verletzte sich. Der Finger musste schließlich amputiert werden.
Der Schüler beantragte bei der zuständigen Unfallkasse, festzustellen, dass er einen Arbeitsunfall als Nothelfer (§ 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII) erlitten habe.
Die beklagte Unfallkasse lehnte dies ab. Der Kläger sei nicht als Nothelfer versichert gewesen, da für die Gesundheit des Kindes keine erhebliche und gegenwärtige Gefahr bestanden habe.
Das vom Kläger angerufene Sozialgericht hat einen Arbeitsunfall festgestellt.
Das Landessozialgericht hat die Berufung der Unfallkasse zurückgewiesen; der Kläger sei zwar nicht als Nothelfer, wohl aber als "Wie-Beschäftigter" im Haushalt der Mutter des Kindes versichert gewesen (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).
Dagegen richtet sich die Revision der Unfallkasse. Sie meint, der Kläger habe keinen Arbeitsunfall erlitten. Er sei weder als Wie-Beschäftigter im Haushalt der Mutter des Mädchens tätig geworden, noch sei er als Nothelfer versichert gewesen. Die Mutter habe anderweitig Hilfe holen können.
Der Kläger tritt der Revision entgegen. Er meint, während der Hilfeleistung zu Gunsten des Mädchens, das er aus schwieriger Lage befreit habe, nach beiden hier streitigen Versicherungstatbeständen versichert gewesen zu sein.
Wesentliche Entscheidungsgründe:
Der damals vierzehnjährige Schüler ist versichert gewesen, als er das Mädchen befreit hat.
Unglücksfall bejaht
Er hat nach Ansicht des BSG bei einem Unglücksfall Hilfe geleistet (§ 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII). Ein solcher liegt nicht nur vor, wenn eine erhebliche Gefahr für Leib oder Leben einer anderen Person besteht.
Es genügt, dass ein Schaden oder eine Gefahr für ein anderes wichtiges Individualrechtsgut droht bzw. besteht. Der Kläger hat das Mädchen aus einer Lage befreit, in der es nicht in der Lage gewesen ist, ihr grundrechtlich geschütztes Recht auf Fortbewegungsfreiheit wahrzunehmen, sich frei (fort)bewegen zu dürfen. Alternativ zum Handeln des Klägers hätte die Polizei, die Feuerwehr oder eine ähnliche Organisation eingreifen müssen, was ebenfalls einen Unglücksfall nahelegt.
Aber keine "Wie-Beschäftigung
Der Kläger ist nicht als "Wie-Beschäftigter" im Haushalt der Mutter des Kindes versichert gewesen (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Ob die Vorschrift neben einem Versicherungstatbestand nach § 2 Abs. 1 SGB VII anwendbar ist, hat der Senat offen gelassen, denn jedenfalls sind die Voraussetzungen einer Wie-Beschäftigung nicht erfüllt gewesen.
Da der Kläger nicht nur versichert gewesen ist, sondern auch die weiteren Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls erfüllt sind, hat das Bundessozialgericht die Feststellung eines Arbeitsunfalls durch die Vorinstanzen bestätigt.
Quelle: BSG - Pressemitteilung vom 15.06.10