Nach einem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts haben Arbeitslosengeld II-Empfänger einen speziellen Anspruch auf Leistungen für einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf, der mittlerweile in § 21 Abs. 6 SGB II geregelt wurde. Das Bundessozialgericht hat jetzt klargestellt: Die Bagatellgrenze des § 42a SGB II gilt hierfür nicht.
Darum geht es
Der Klägers bezog Arbeitslosengeld II. Er beantragte im Juli 2010 einen Mehrbedarf, um alle zwei Wochen sein Umgangsrecht mit seiner im Jahr 2006 geborenen, in 17 km Entfernung bei der Mutter lebenden Tochter auszuüben. Den Antrag lehnte das beklagte Jobcenter ab.
Es meinte, bei einer Entfernung von 17 km und jeweils zweimaliger Hin- und Rückfahrt mit dem PKW sowie einer Pauschale von 0,20 € je Entfernungskilometer ergebe sich nur ein Betrag von 13,60 € im Monat, der unter einer Bagatellgrenze von 10 % des Regelbedarfs ? damals 359 € ? liege. Vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht war der Kläger erfolgreich, sie haben ihm 27,20 € pro Monat bei einer Pauschale von 0,20 € pro Kilometer zugesprochen.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 04.06.2014 die Auffassung des Klägers und der Vorinstanzen bestätigt.
Dass der Kläger, wie alle Eltern, die Arbeitslosengeld II beziehen, grundsätzlich Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen der Kosten des Umgangsrechts mit seiner von ihm getrennt lebenden Tochter hat, ergibt sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175) und dem daraufhin vom Gesetzgeber geschaffenen § 21 Abs 6 SGB II.
Der Anspruch setzt zwar einen vom durchschnittlichen Bedarf erheblich abweichenden, unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen Mehrbedarf voraus. Ein solcher ist aber gegeben, wenn für die Fahrten zur Ausübung des Umgangsrechts jeweils 68 km mit einem PKW zurückgelegt werden müssen und das Umgangsrecht alle zwei Wochen besteht. Denn selbst wenn nur eine Kilometerpauschale von 20 Ct wie nach dem Bundesreisekostengesetz zugrunde gelegt wird, ergibt sich ein Betrag von 27,20 € pro Monat. Dieser Betrag beinhaltet auch eine erhebliche Abweichung vom durchschnittlichen Bedarf hinsichtlich der Regelleistung von damals 359 € insgesamt und des in der damaligen Regelleistung enthaltenen Betrags für Fahrtkosten von hochgerechnet gut 20 €, zumal in diesen die Ausgaben für PKW nicht berücksichtigt wurden.
Eine Rechtsgrundlage für die von dem beklagten Jobcenter vertretene allgemeine Bagatellgrenze ist nicht zu erkennen. Eine Heranziehung der 10 %-Regelung für die Rückzahlung von Darlehen nach § 42a SGB II scheidet aus. Bei einem Darlehen haben die Betroffenen das Geld vorher erhalten, das sie dann an das Jobcenter zurückzahlen, während es ihnen bei einer Bagatellgrenze vorenthalten würde, obwohl sie darauf einen Anspruch haben.
BSG , Urt. v. 04.06.2014- B 14 AS 30/13 R
BVerfG, Urt. v. 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.
Quelle: Bundessozialgericht, Pressemitteilung v. 05.06.2014