Sozialrecht, Arbeitsrecht -

Kein grenzenloser Mindestlohn

Der EuGH schränkt die grenzüberschreitende Geltung deutscher Mindestlöhne ein. Nach Ansicht des Gerichtshofs verstößt eine Regelung des Landes Nordrhein-Westfalen, wonach Unternehmer bei der öffentlichen Auftragsvergabe nur berücksichtigt werden, wenn auch ihre Subunternehmer im EU-Ausland das vorgeschriebene Mindestentgelt zahlen, gegen die europarechtliche Dienstleistungsfreiheit.

Darum geht es

Ein Gesetz des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen sieht vor, dass bestimmte öffentliche Dienstleistungsaufträge nur an Unternehmen vergeben werden dürfen, die sich bei der Angebotsabgabe verpflichtet haben, ihren Beschäftigten für die Ausführung der Leistung wenigstens ein Mindeststundenentgelt von 8,62 € zu zahlen. {DB:tt_content:2566:bodytext}

Diese gesetzliche Regelung soll gewährleisten, dass die Beschäftigten einen angemessenen Lohn erhalten, um sowohl „Sozialdumping“ als auch eine Benachteiligung konkurrierender Unternehmen zu vermeiden, die ihren Arbeitnehmern ein angemessenes Entgelt zahlen.

Im Rahmen der Ausschreibung eines Auftrags zur Aktendigitalisierung und Konvertierung von Daten ihres Stadtplanungs- und Bauordnungsamts verlangte die Stadt Dortmund in Anwendung dieses Gesetzes von allen Bietern, dass das Mindestentgelt von 8,62 € auch den Arbeitnehmern zu gewährleisten sei, die bei einem vom Bieter vorgesehenen Nachunternehmer mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat (im vorliegenden Fall Polen) beschäftigt sind und den betreffenden Auftrag ausschließlich in diesem Staat ausführen.

Die an diesem Auftrag interessierte deutsche Bundesdruckerei rief hiergegen die zuständige Vergabekammer in Deutschland an, die ihrerseits Zweifel an der Vereinbarkeit der fraglichen Regelung (in deren Anwendung durch die Stadt Dortmund) mit dem Unionsrecht hegt, insbesondere mit der Dienstleistungsfreiheit, und sich deshalb an den EuGH wandte.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Der EuGH gelangt zu dem Ergebnis, dass es in einer Situation, in der wie im vorliegenden Fall ein Bieter beabsichtigt, einen öffentlichen Auftrag ausschließlich durch Inanspruchnahme von Arbeitnehmern auszuführen, die bei einem Nachunternehmer mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem des öffentlichen Auftraggebers beschäftigt sind, der Dienstleistungsfreiheit zuwiderläuft, wenn der Mitgliedstaat, dem der öffentliche Auftraggeber angehört, den Nachunternehmer verpflichtet, den Arbeitnehmern ein Mindestentgelt zu zahlen.

Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass eine solche Regelung eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellen kann.

Die Verpflichtung zur Zahlung eines Mindestentgelts, die den Nachunternehmern eines Bieters auferlegt wird, die in einem anderen Mitgliedstaat mit niedrigeren Mindestlohnsätzen ansässig sind, stellt nämlich eine zusätzliche wirtschaftliche Belastung dar, die geeignet ist, die Erbringung von Dienstleistungen in diesem anderen Mitgliedstaat zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen.

Zwar kann eine solche Regelung grundsätzlich durch das Ziel des Arbeitnehmerschutzes gerechtfertigt sein. Da die Regelung jedoch nur auf öffentliche Aufträge Anwendung findet, ist sie nicht geeignet, dieses Ziel zu erreichen, wenn es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die auf dem privaten Markt tätigen Arbeitnehmer nicht desselben Lohnschutzes bedürfen wie die im Rahmen öffentlicher Aufträge tätigen Arbeitnehmer.

Jedenfalls erscheint die fragliche nationale Regelung unverhältnismäßig, soweit sich ihr Geltungsbereich auf eine Situation wie die vorliegende erstreckt.

Indem diese Regelung ein festes Mindestentgelt vorgibt, das zwar dem entspricht, das erforderlich ist, um in Deutschland eine angemessene Entlohnung der Arbeitnehmer im Hinblick auf die in diesem Land bestehenden Lebenshaltungskosten zu gewährleisten, aber keinen Bezug zu den in dem Mitgliedstaat bestehenden Lebenshaltungskosten hat, geht sie über das hinaus, was erforderlich ist, um die Ziele des Arbeitnehmerschutzes zu erreichen.

Denn letztlich würde mit einer solchen Regelung einem in einem (ausländischen) Mitgliedstaat ansässigen Subunternehmen die Möglichkeit vorenthalten, aus den zwischen den jeweiligen Lohnniveaus bestehenden Unterschieden einen Wettbewerbsvorteil zu ziehen.

Hinweis

Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem EuGH Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.

EuGH, Urt. v. 18.09.2014 - C-549/13 Bundesdruckerei GmbH / Stadt Dortmund

Quelle: EuGH, Pressemitteilung v. 18.09.2014