Die Eltern eines contergangeschädigten Kindes müssen die für das Kind erbrachten Sozialleistungen nach dessen Tod aus dem Nachlass zurückzahlen.
Hat ein contergangeschädigtes Kind zu Lebzeiten Sozialhilfe erhalten, nach dem Tod aber ein Erbe hinterlassen, müssen die Eltern die Leistungen aus dem Nachlass zurückerstatten. Eine Rückerstattungspflicht der geleisteten Sozialhilfe besteht für die letzten zehn Jahre, wie das Bundessozialgericht in Kassel am Dienstag entschied. Damit scheiterte die Klage der Eltern einer 2003 verstorbenen contergangeschädigten Frau aus dem Landkreis Lippe, von der sie nach ihrem Tod 63 000 Euro geerbt hatten.
Darum geht es:
Die Kläger sind Eltern einer 1961 geborenen und im Februar 2003 verstorbenen Frau, die wegen der Einnahme Medikaments Contergan durch Mutter während der Schwangerschaft von Geburt an schwerstbehindert war. Sie hatte von der Stiftung "Hilfswerk für behinderte Kinder" eine einmalige Kapitalentschädigung in Höhe von 25.000 DM und eine monatliche Rente in Höhe von zuletzt 1.024 DM erhalten.
Seit 1997 bis zu ihrem Tod erhielt die im Pflegeheim untergebrachte Frau Sozialhilfeleistungen. Nach dem Stiftungsgesetz wurden die Entschädigungszahlungen weder als Einkommen noch als Vermögen auf die Sozialhilfe angerechnet. Nachdem die behinderte Frau 2003 starb, machte der Sozialhilfeträger gegenüber den Eltern als Erben einen Ersatzanspruch von über 56 000 Euro geltend.
Die gegen den Erstattungsanspruch gerichteten Klagen der Eltern blieben in allen Instanzen erfolglos.
Wesentliche Entscheidungsgründe:
Entgegen der Ansicht der Eltern entschied das Bundessozialgericht, dass die Entschädigungszahlungen nach dem Tod des contergangeschädigten Kindes als Einkommen oder Vermögen anzusehen sind. Zwar sehe das Stiftungsgesetz vor, dass Entschädigungszahlungen für Kinder wegen deren Conterganschädigung bei der der Gewährung von Sozialhilfeleistungen nicht als Vermögen oder Einkommen angerechnet werden. Diese Regelung gelte aber nicht für die Erben.
Keine gesetzliche Ausnahmeregelung
Eine entsprechende Regelung enthält weder das Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung “Hilfswerk für behinderte Kinder (StiftG) noch das Bundessozialhilfegesetz (BSHG; seit 01.01.2005 SGB XII).
Keine besondere Härte
Die von den Klägern geltend gemachten psychischen Belastungen rechtfertigen nicht die Annahme einer besonderen Härte im Sinne des § 92c Abs. 3 Nr. 3 BSHG. Eine besondere Härte erfordert eine atypische, vom Regelfall abweichende Lebenslage, die vorliegend nicht erkennbar ist. Das StiftG sieht Leistungen an Eltern nur in Form von Beihilfen zu den Aufwendungen vor, die im Zusammenhang mit dem durch das StifG geregelten Schadensfall stehe. Die Leistungen nach dem StiftG, die Ersatzansprüche gegen den Produkthersteller ausschließen, gleichen mithin nur beim durch das Medikament selbst Geschädigten auch ideelle Schäden aus.
Rechtlich unerheblich ist, ob die Verstorbene den Klägern das Erbe schon vor ihrem Tod per Schenkung hätte zukommen lassen können, ohne dass der Beklagte darauf irgendwann hätte zugreifen können.
Das aus den Geldern der Stiftung "Hilfswerk für behinderte Kinder" angesparte Erbe muss daher für die Rückzahlung der erbrachten Sozialhilfeleistungen verwendet werden.
Der konkrete Rechtsstreit wurde von dem Kasseler Bundesgericht (nur) wegen fehlender Tatsachenfeststellungen aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Quelle: BSG - Pressemitteilung vom 23.03.10