Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat der Beschwerde einer GmbH, die eine Gaststätte in Gießen betreibt, gegen eine Sperrstundenregelung stattgegeben. Die Regelung sah eine Sperrzeit ab 23 Uhr vor. Das Gericht verwies dabei insbesondere darauf, dass die Behörde bei ihrer Verfügung keine Erwägungen zur Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahme dargelegt hätte.
Darum geht es
Mit bis zum 01.11.2020 geltender Allgemeinverfügung vom 15.10.2020 hatte der Landkreis Gießen die Sperrzeit für das Gaststättengewerbe sowie für öffentliche Vergnügungsstätten auf 23 Uhr festgesetzt.
Zur Begründung führte der Kreis an, im Zusammenhang mit der derzeitigen durch das Coronavirus SARS-CoV-2 bedingten Pandemielage habe sich die Infektionslage innerhalb des Landkreises Gießen nachteilig entwickelt, so dass besondere Maßnahmen zur Eindämmung der weiteren Ausbreitung erforderlich seien.
Den Eilantrag der GmbH, die Inhaberin einer Gaststätte ist, hatte das Verwaltungsgericht Gießen abgelehnt. Gegen diese Entscheidung hatte die GmbH Beschwerde eingelegt.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Die Beschwerde der Gaststätteninhaberin gegen die Sperrzeitverlängerung war vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof erfolgreich.
Das Gericht hat insoweit ausgeführt, die angegriffene Verfügung des Landkreises sei nicht verhältnismäßig, sondern rechtswidrig.
Es fehlten sowohl Erwägungen zur Erforderlichkeit als auch zur Angemessenheit der Maßnahme. Die Erforderlichkeit setze voraus, dass die Behörde unter mehreren in gleicher Weise geeigneten Maßnahmen das mildere Mittel wähle, also die Maßnahme, die den Bürger am wenigsten belaste.
An einer diesbezüglichen Prüfung fehle es vollständig. Der Landkreis habe in der Allgemeinverfügung lediglich dargelegt, dass die Verlängerung der Sperrzeit im Vergleich zur vollständigen Schließung der gastronomischen Betriebe das mildere Mittel sei und damit nur ein stärker einschneidendes Mittel - für das ihm nach dem Gaststättenrecht zudem keine Ermächtigungsgrundlage zur Verfügung stehen würde, benannt.
Mit möglichen milderen Mitteln, die in gleicher Weise zur Erreichung des Ziels geeignet sein könnten, habe sich die Behörde gar nicht auseinandergesetzt.
Auch eine Angemessenheitsprüfung, wonach hätte geprüft werden müssen, ob der Eingriff in angemessenem Verhältnis zu dem Gewicht und der Bedeutung des Grundrechts der Berufsfreiheit der Gaststättenbetreiberin stehe, fehle vollständig.
Zwar könne die Verwaltungsbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen. Der Vortrag des Landkreises im Beschwerdeverfahren erfülle die Anforderungen, die an die Ergänzung zu stellen seien, jedoch nicht.
Sofern der Landkreis in der Antragserwiderung im Beschwerdeverfahren vorgetragen habe, warum ein Alkoholausschankverbot oder ein strenges Hygienekonzept keine gleich effektiven milderen Mittel darstellten, habe er sich auf das Betriebskonzept der Antragstellerin und das von ihr praktizierte Hygienekonzept bezogen. Damit habe er sich aber nicht mit der Angemessenheit der Allgemeinverfügung auseinandergesetzt.
Der Beschluss ist unanfechtbar.
Hessischer VGH, Beschl. v. 23.10.2020 - 6 B 2551/20
Quelle: Hessischer VGH, Pressemitteilung v. 23.10.2020