Der BGH hat in vier Verfahren Klauseln über Verwahrentgelte („Negativzinsen“) für unwirksam erklärt. Demnach sind Negativzinsen für Spar- und Tagesgeldkonten bei Verbrauchern grundsätzlich unzulässig. Bei Girokonten sind Verwahrentgelte zwar möglich - sie verletzten in den Streitfällen aber das Transparenzgebot. Zudem kippte der BGH unklare Entgeltklauseln für Ersatz-Bankkarten und Ersatz-PIN.
Darum geht es
Die Kläger in den vier Verfahren sind Verbraucherschutzverbände. Die beklagten Banken und die beklagte Sparkasse hatten zwischen 2020 und 2021 während unterschiedlicher Zeiträume Verwahrentgelte („Negativzinsen“) insbesondere bei Neuverträgen veranschlagt.
Die Verwahrentgelte griffen oberhalb eines Freibetrags von 5.000 € bis 250.000 € und beliefen sich auf 0,5 % pro Jahr bzw. in einem Fall bei 0,7 % pro Jahr.
In den Verfahren XI ZR 61/23, XI ZR 65/23 und XI ZR 161/23 wurden Verwahrentgelte bei Giroverträgen erhoben. Nach den Formulierungen der Klauseln blieb offen, welcher konkrete Guthabenstand und inwieweit Tagesumsätze auf den Girokonten für die Berechnung des Verwahrentgelts jeweils maßgebend sein sollten.
In den Verfahren XI ZR 161/23 ging es darüber hinaus um Klauseln über Verwahrentgelte für Einlagen auf Tagesgeldkonten; das Verfahren XI ZR 183/23 betraf ausschließlich Verwahrentgelte für Spareinlagen. Im Verfahren XI ZR 161/23 wurde zudem ein Entgelt für die Ausstellung einer Ersatz-BankCard bzw. einer Ersatz-PIN moniert.
Die Kläger in den vier Verfahren halten die Klauseln für unwirksam, da sie die Verbraucher entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligten. Sie nehmen die Beklagten jeweils darauf in Anspruch, es zu unterlassen, diese oder inhaltsgleiche Klauseln gegenüber Verbrauchern zu verwenden.
Die Kläger in den Verfahren XI ZR 65/23 und XI ZR 161/23 begehren darüber hinaus von der jeweiligen Beklagten als Folgenbeseitigung die Rückzahlung der auf der Grundlage der Verwahrentgeltklauseln vereinnahmten Entgelte an die betroffenen Verbraucher und Auskunft über deren Vornamen, Zunamen und Anschriften. Im Verfahren XI ZR 183/23 wird darüber hinaus eine Versendung eines formulierten Berichtigungsschreibens an die Verbraucher verlangt.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Der BGH hat in den Verfahren XI ZR 61/23, XI ZR 65/23 und XI ZR 161/23 entschieden, dass mit dem Verwahrentgelt eine Hauptleistung aus dem Girovertrag bepreist wird und die in Giroverträgen vereinbarten Klauseln über Verwahrentgelte damit keiner AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle unterliegen.
Die Klauseln verstoßen nach dem BGH aber gegen das sich gemäß § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB auch auf das Hauptleistungsversprechen erstreckende Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Damit sind sie gegenüber Verbrauchern unwirksam.
Der BGH geht nach einer Gesamtschau des Zwecks und der Eigenschaften von Girokonten davon aus, dass die Verwahrung von Guthaben auf Girokonten als eine von der Bank erbrachte Hauptleistung anzusehen ist. Aus den Regelungen der § 700 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB ergebe sich weiter, dass ein Verwahrentgelt keine gesetzlich nicht vorgesehene Gegenleistung des Kunden darstellt.
Die Verwahrentgeltklauseln in den Giroverträgen der Verfahren XI ZR 61/23, XI ZR 65/23 und XI ZR 161/23 sind nach dem BGH allerdings intransparent und daher unwirksam.
Sie sind hinsichtlich der Höhe des Verwahrentgelts nicht bestimmt genug, so dass Verbraucher ihre mit den Klauseln verbundenen wirtschaftlichen Belastungen nicht hinreichend erkennen können. Die Klauseln informieren nicht hinreichend genau darüber, auf welches Guthaben sich das Verwahrentgelt in Höhe von 0,7 % p.a. (so im Verfahren XI ZR 61/23) bzw. in Höhe von 0,5 % p.a. (so in den Verfahren XI ZR 65/23 und XI ZR 161/23) bezieht.
Die auf Girokonten bestehenden Guthaben können sich infolge der Verbuchung von Gutschriften und Belastungen innerhalb eines Tages mehrfach ändern. Die in den Klauseln verwendeten Formulierungen lassen allerdings offen, welcher konkrete Guthabenstand auf den Girokonten für die Berechnung des Verwahrentgelts jeweils maßgebend sein soll.
Unklar ist dabei v.a., ob die Berechnung des Verwahrentgelts taggenau erfolgen soll und bis zu welchem Zeitpunkt Tagesumsätze auf den Girokonten bei der Berechnung des maßgebenden Guthabensaldos berücksichtigt werden sollen.
Die Klauseln über Verwahrentgelte für Einlagen auf Tagesgeldkonten (XI ZR 161/23) und für Spareinlagen (XI ZR 183/23) unterliegen demgegenüber einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle, weil sie die von der Bank geschuldete Hauptleistung abweichend von der nach Treu und Glauben geschuldeten Leistung verändern.
Sie halten der Inhaltskontrolle nicht stand, weil sie von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abweichen und die Verbraucher entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB).
Einlagen auf Tagesgeldkonten und Sparkonten dienen nicht nur der sicheren Verwahrung von Geldern, sondern darüber hinaus auch Anlage- und Sparzwecken. Mit der Erhebung eines laufzeitabhängigen Verwahrentgelts in Höhe von 0,5% p.a. verlieren die Tagesgeldkonten allerdings gänzlich ihren Spar- und Anlagezweck.
Denn bei einer gleichzeitigen Verzinsung der Einlage mit 0,001% p.a. reduziert sich das auf den Tagesgeldkonten eingelegte Kapital täglich, bis die Einlage den in den Klauseln genannten Freibetrag von 50.000 € erreicht. Hierdurch wird der Charakter des Vertrags über ein Tagesgeldkonto nach Treu und Glauben verändert.
Zweck von Spareinlagen ist es, das Vermögen von natürlichen Personen mittel- bis langfristig aufzubauen und durch Zinsen vor Inflation zu schützen. Dieser Charakter des Sparvertrags wird durch die Erhebung eines Verwahr- oder eines Guthabenentgelts entgegen den Geboten von Treu und Glauben verändert, da das laufzeitabhängige Verwahr- oder Guthabenentgelt mit dem den Sparvertrag kennzeichnenden Kapitalerhalt nicht zu vereinbaren ist.
Denn auch das Verwahr- bzw. Guthabenentgelt in dem Verfahren XI ZR 183/23 führt dazu, dass die Höhe der Spareinlagen fortlaufend bis zu dem vereinbarten Freibetrag sinkt. Die Erhebung des Verwahrentgelts reduziert die auf die Sparverträge eingezahlten Spareinlagen, was von dem Vertragszweck „Kapitalerhalt und Sparen“ abweicht, nach dem das eingezahlte Kapital mindestens zu erhalten ist.
Diese Abweichung stellt eine unangemessene Benachteiligung der Verbraucher dar. Soweit Kreditinstitute im Euroraum im Zeitraum vom 11.06.2014 bis 26.07.2022 auf bestimmte Einlagen, die sie bei ihrer nationalen Zentralbank unterhielten, „negative Zinsen“ zu zahlen hatten, rechtfertigt dies nicht, die vertraglich berechtigten Erwartungen von Verbrauchern zu enttäuschen, ihre auf Tagesgeld- und auf Sparkonten verbuchten Einlagen mindestens zu erhalten.
Soweit die klagenden Verbraucherschutzverbände in den Verfahren XI ZR 65/23 und XI ZR 161/23 von der jeweiligen Beklagten als Folgenbeseitigung die Rückzahlung der auf der Grundlage der unwirksamen Verwahrentgeltklauseln vereinnahmten Entgelte an die betroffenen Verbraucher und Auskunft über deren Vornamen, Zunamen und Anschriften verlangen, hat der BGH die Klage abgewiesen.
Wie der BGH mit Urteil vom 11.09.2024 (Az. I ZR 168/23) bereits entschieden hat, ist eine solche Klage bereits unzulässig, weil der Kläger mit seinem Antrag die Kunden der Beklagten nicht individualisiert, an die die Rückzahlung erfolgen soll, so dass es an der nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO erforderlichen Bestimmtheit des Klageantrags fehlt.
Die begehrte Auskunft können die Kläger nicht beanspruchen, weil einem Verbraucherschutzverband im Rahmen eines Klageverfahrens nach dem Unterlassungsklagengesetz kein Beseitigungsanspruch auf Rückzahlung rechtsgrundlos vereinnahmter Entgelte an die betroffenen Verbraucher zusteht.
Soweit der Kläger in dem Verfahren XI ZR 183/23 als Folgenbeseitigung Auskunft über die betroffenen Verbraucher und die Versendung eines von ihm formulierten Berichtigungsschreibens durch die Beklagte an die betroffenen Verbraucher verlangt, hat der BGH die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
In dem Verfahren XI ZR 161/23 hat der BGH schließlich entschieden, dass die Klauseln zu einem Entgelt für die Ausstellung einer Ersatz-BankCard bzw. einer Ersatz-PIN unwirksam sind, da sie gegen das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verstoßen.
Der Verbraucher kann nicht hinreichend erkennen, in welchen Fällen die Beklagte zur Ausstellung einer Ersatzkarte bzw. einer Ersatz-PIN verpflichtet ist, und damit nicht, ob er das Entgelt von 12 € bzw. 5 € tatsächlich zahlen muss.
Der durchschnittliche, rechtlich nicht gebildete, verständige Verbraucher erkennt zwar, dass er nach den Klauseln nur dann zur Zahlung verpflichtet sein soll, wenn weder eine gesetzliche noch eine vertragliche Verpflichtung der Bank zur Ausstellung einer Ersatzkarte bzw. einer Ersatz-PIN besteht.
In den Klauseln fehlt aber jegliche Konkretisierung, wann eine solche Verpflichtung der Bank besteht. Ausführungen über die typischen Fälle, in denen der Verbraucher eine Ersatzkarte bzw. eine Ersatz-PIN benötigt (Verlust, Diebstahl und Missbrauch), enthalten die Klauseln nicht. Die Entgeltklauseln versetzen den Verbraucher damit nicht in die Lage, die Reichweite der beabsichtigten Entgeltpflicht in seinem praktischen Geltungsbereich zu bestimmen.
BGH, Urteile v. 04.02.2025 - XI ZR 61/23, XI ZR 65/23, XI ZR 161/23 und XI ZR 183/23
Quelle: BGH, Pressemitteilung v. 04.02.2025