Eine Herabsetzung oder zeitliche Begrenzung des nachehelichen Unterhalts nach § 1578b BGB kann nach längerer Dauer einer „Alleinverdienerehe“ ausscheiden, wenn die gemeinsamen Kinder überwiegend von der Anspruchsstellerin betreut wurden und sie krankheitsbedingt und wegen ihres Alters nicht erwerbsfähig ist. Das hat das Amtsgericht - Familiengericht - Frankenthal entschieden.
Darum geht es
Die Beteiligten stritten um rückständigen und laufenden Ehegattenunterhalt. Die Beteiligten sind geschiedene Eheleute.
Sie haben im Jahr 1983 die Ehe geschlossen und leben seit dem Jahr 2016 voneinander getrennt. Die Ehe, aus der drei, zwischenzeitlich volljährige Kinder hervorgegangen sind, wurde im Jahr 2019 geschieden.
Es handelte sich um eine sogenannte „Alleinverdienerehe“, das heißt, die im Jahr 1960 geborene Antragstellerin hatte während der Ehezeit nicht gearbeitet, sondern sich maßgeblich um die Kindererziehung gekümmert. Sie erzielt keine eigenen Einkünfte. Zwar hat sie in Kasachstan eine Ausbildung zur Postbotin absolviert, diesen Beruf indes nie ausgeübt.
Zur von der Antragstellerin behaupteten krankheitsbedingten Erwerbsunfähigkeit hat das Gericht zwei Sachverständigengutachten eingeholt.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Das Familiengericht hat den Anträgen überwiegend stattgegeben.
Die Antragstellerin kann von dem Antragsgegner Ehegattenunterhalt in Form des Elementarunterhalts wegen Krankheit sowie in Form des Krankenvorsorgeunterhalts verlangen.
Gemäß § 1572 Nr. 1 BGB kann ein geschiedener Ehegatte von dem anderen Unterhalt verlangen, solange und soweit von ihm vom Zeitpunkt der Scheidung an wegen Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwächen seiner körperlichen oder geistigen Kräfte eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann.
Die Krankheit braucht nicht „ehebedingt“ zu sein. Ausreichend ist die Kausalität für die Nichterwerbstätigkeit des Bedürftigen. Da alle im Rahmen der Vorschrift genannten Beeinträchtigungen den Unterhaltsanspruch aus § 1572 BGB vermitteln, ist allein maßgeblich, dass eine Einschränkung vorliegt, die zur Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit führt.
Erforderlich ist ein objektiv fassbarer, regelwidriger Körper- und Geisteszustand, der länger andauert und der ärztlichen Behandlung bedarf und (teilweise oder ganz) die Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat.
Vor diesem Maßstab kann von der Antragstellerin jedenfalls seit dem Zeitpunkt der Scheidung wegen Krankheit eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden.
Wie nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. I., dass sich das Gericht insofern zu eigen macht, feststeht, leidet die Antragstellerin an diversen Beeinträchtigungen. Aus neurologischer Sicht wäre hiernach eine Tätigkeit in Wechselschicht, nicht aber in Nachtschicht, in Form leichter bis mittelschwerer Tätigkeit überwiegend im Sitzen, zeitweise auch im Gehen und Stehen zumutbar.
Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. B., das sich das Gericht ebenfalls insofern zu Eigen macht, bestehen zusätzlich diverse orthopädische Diagnosen. Hiernach ist die Antragstellerin aufgrund orthopädischer Leiden bis auf weiteres nicht in der Lage, drei Stunden täglich wettbewerbsmäßig tätig zu sein.
Nach alledem stand für das Gericht aufgrund der nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen und in der Zusammenschau beider Gutachten mit hinreichender Sicherheit fest, dass bei verständiger Würdigung eine reelle Erwerbschance auf dem Arbeitsmarkt für die Antragstellerin bis auf weiteres nicht besteht.
Zwar haben sich die Sachverständigen nicht bis an die Grenze des Absurden zu allen denkbaren Formen der Erwerbstätigkeit ausdrücklich und unter Hinzuziehung von Beispielen geäußert. Dies ist nach Auffassung des Gerichts indes auch gar nicht erforderlich. Denn bei verständiger Würdigung ergibt sich anhand der dargestellten Krankheitsbilder bereits, dass eine Erwerbsfähigkeit nicht besteht.
Im Hinblick auf die rund 36-jährige Ehedauer und die Tatsache, dass es sich um eine Alleinverdienerehe handelt, aus der drei Kinder hervorgegangen sind, die von der Antragstellerin überwiegend betreut wurde, sowie in Ansehung der Umstände, dass die Antragstellerin bereits 60 Jahre alt und krankheitsbedingt erwerbsunfähig ist, kommt eine Herabsetzung oder zeitliche Begrenzung des Unterhalts gemäß § 1578 b BGB nach Auffassung des Gerichts offensichtlich nicht in Betracht.
Umstände, aus denen sich ausnahmsweise dennoch eine Unbilligkeit der unbegrenzten Dauer der Unterhaltspflicht ergeben könnten, sind von Antragsgegnerseite weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich.
Die Entscheidung ist rechtskräftig. Die Beschwerde des Antragsgegners wurde zurückgenommen.
Amtsgericht Frankenthal, Entscheidung v. 29.04.2021 - 71 F 214/19
Quelle: Amtsgericht Frankenthal, Pressemitteilung v. 22.10.2021