Sind sich gemeinsam sorgeberechtigte Eltern bei ihrem Kind über unterbringungsähnliche Maßnahmen nicht einig, kommt vorrangig eine gerichtliche Entscheidung nach § 1628 BGB in Betracht („Übertragung auf ein Elternteil“). Für eigene gerichtliche Maßnahmen bei Verhinderung der Eltern nach § 1693 BGB müssen die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen. Das hat das OLG Oldenburg entschieden.
Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin ist Mutter des im November 2005 geborenen Kindes, dessen elterliche Sorge sie mit dem Vater gemeinsam ausübt. Das schwerstkranke Kind lebt in einer Einrichtung.
Aufgrund von durch diese Krankheiten bedingten Selbst- und Fremdgefährdungen auch in der Nacht wurden das nächtliche Tragen eines Overalls und die Installation eines Bettgitters als freiheitsentziehende Maßnahme sowie kurzfristige Time-out-Maßnahmen zur Beruhigung in einem gesonderten Raum für notwendig erachtet. Der Vater befürwortet das Tragen des Overalls und das Bettgitter zum Schutz seiner Tochter, die Mutter hingegen beschränkt ihre Genehmigung auf den Overall. Die Eltern können sich nicht einigen.
Ein Sachverständigengutachten wurde eingeholt und den Eltern sowie dem Jugendamt zur Stellungnahme übersandt. Aufgrund eines Rehabilitationsaufenthaltes und nach ärztlichem Rat konnte die Mutter nicht antworten.
Das AG hat sodann ab sofort die zeitweise und regelmäßige Freiheitsentziehung des Kindes angeordnet (Anbringung eines Bettgitters, eines Overalls abends und nachts, kurzfristige Time-out-Maßnahmen zur Reduktion aggressiver Impulsdurchbrüche und zur Beruhigung bei unzureichenden anderen Maßnahmen für max. 20 Minuten sowie Kameraüberwachung in dessen Zimmer ausschließlich in Situationen, in denen es im Zimmer alleine ist, nach ausdrücklicher Anordnung des behandelnden Arztes). Die Beschwerde der Mutter führt zur Aufhebung des Beschlusses. Die Entscheidung wurde an das FamG zurückverwiesen.
Wesentliche Aussagen der Entscheidung
Verfahrensgegenstand war die Genehmigung seitens der sorgeberechtigten Eltern beantragten freiheitsentziehenden Maßnahmen ihres Kindes (§ 1631b Abs. 2 BGB). Hierüber hat das Gericht jedoch nicht entschieden, sondern ohne vorliegenden Antrag eine über den elterlichen Willen hinausgehende Anordnung über die freiheitsentziehenden Maßnahmen für die Dauer von einem Jahr getroffen.
Dadurch wurde unter Bezugnahme auf § 1693 BGB in die elterliche Sorge eingriffen, ohne jedoch Umstände zu erläutern, die die Anwendung dieser Vorschrift rechtfertigen. Über solche Maßnahmen entscheiden alleine die sorgeberechtigten Eltern. Daher erfolgten Aufhebung und Zurückverweisung zu Recht.
Eine derartige Entscheidung des AG gem. § 1693 BGB hätte nicht gefasst werden dürfen, da weder die Voraussetzungen vorlagen noch die Befugnis der Anordnung der für erforderlich erachteten unterbringungsähnlichen Maßnahmen hierdurch eröffnet werden könnte.
Erforderliche Maßregeln im Interesse des Kindes zu treffen, ist nur im Falle der Verhinderung der Eltern möglich. Dann sind nur Maßregeln zulässig, die der Abhilfe eines bestimmten vorübergehenden Bedürfnisses dienen. Es sollen mithin lediglich Fehlzeiten der Eltern überbrückt werden. § 1693 BGB ist nicht anzuwenden, wenn grundsätzlich sorgerechtsfähige Eltern ihrer Sorgerechtsverantwortung nicht nachkommen oder solche Maßnahmen treffen, die das Gericht für sachlich ungeeignet hält.
Aufgrund der Verhinderung nur eines sorgeberechtigten Elternteils sind hier grundsätzlich die entsprechenden Regelungen über das Ruhen der elterlichen Sorge nach §§ 1678, 1680, 1681 BGB einschlägig. Ist es den gemeinsam sorgeberechtigten Eltern nicht möglich, eine gemeinsame Entscheidung herbeizuführen, ist eine gerichtliche Entscheidung nach § 1628 BGB zu treffen.
Die Verhinderung der Kindesmutter durch die Rehabilitationsmaßnahme erscheint hier jedoch zweifelhaft. Es wurde nicht ermittelt, ob und inwieweit die §§ 1678, 1680, 1681 BGB infolge einer Verhinderung der Kindesmutter greifen. Ferner wurde nicht berücksichtigt, dass möglicherweise auch eine Vernachlässigung oder sonstiges elterliches Fehlverhalten vorliegen könnte, was zur Folge hätte, dass gem. §§ 1666 ff BGB das FamG erforderliche Maßnahmen hätte treffen müssen und keinesfalls selbst nach § 1693 BGB hätte entscheiden dürfen.
Darüber hinaus leidet das Verfahren an wesentlichen Mängeln: Erforderliche persönliche Anhörungen der sorgeberechtigten Kindeseltern (§167 Abs. 4 FamFG) sind unterblieben. Das betroffene Kind hätte auch in einem gebotenen Umfang angehört werden müssen oder eine Begründung für das Unterbleiben hätte erfolgen müssen. Auch hätte das eingeholte Gutachten dem Verfahrensbeistand vor einer Entscheidung zur Kenntnis- und Stellungnahme übersandt werden müssen.
Aufhebung und Zurückverweisung ermöglichen nunmehr nochmals ordnungsgemäß über den - übereinstimmenden - Antrag der Kindeseltern auf Genehmigung der unterbringungsähnlichen Maßnahmen nach § 1631b Abs. 2 BGB nach deren persönlicher Anhörung und Auseinandersetzung der von der Kindesmutter erhobenen Einwendungen gegen das Gutachten zu entscheiden.
Falls sich die Eltern dann nicht verständigen und keine Entscheidung nach § 1628 BGB veranlasst wird, sind Maßnahmen nach §§ 1666ff BGB prüfen.
Folgerungen aus der Entscheidung
Die Entscheidung des AG gem. § 1693 BGB hätte nicht ergehen dürfen. Das Gericht hätte vielmehr die Pflicht gehabt, über den vorliegenden Antrag der Kindeseltern auf Genehmigung der begehrten unterbringungsähnlichen Maßnahmen zu entscheiden. Denn Verfahrensgegenstand ist die Genehmigung einer Entscheidung der sorgeberechtigten Eltern über die Vornahme bestimmter freiheitsentziehender Maßnahmen. Die erforderlichen Maßregeln trifft das FamG gem. § 1693 BGB im Interesse des Kindes jedoch nur bei Verhinderung der Eltern.
Kommen sorgerechtsfähige Eltern ihrer gemeinsamen Sorgerechtsverantwortung nicht nach oder treffen sie solche Maßnahmen, die das Gericht für sachlich ungeeignet hält, ist § 1693 BGB hingegen nicht anwendbar. Das Gericht ist verpflichtet, die Voraussetzungen für seinen Eingriff in die elterliche Sorge hinreichend zu prüfen.
Praxishinweis
Entscheidungen über unterbringungsähnliche Maßnahmen eines gemeinsamen Kindes treffen die sorgeberechtigten Eltern gemeinsam. Im Verhinderungsfall darf das Gericht im Interesse des Kindes zur vorübergehenden Abhilfe nötige Maßnahmen treffen. Liegt lediglich ein Nicht-Nachkommen der gemeinsamen Sorgerechtsverantwortung oder Entscheidung zugunsten von Maßnahmen vor, die nach Ansicht des Gerichts nicht oder wenig geeignet sind, darf das Gericht allenfalls auf Basis von § 1628 BGB einschreiten. Für die Prüfung der jeweiligen Sachvoraussetzungen ist das Familiengericht zuständig.
OLG Oldenburg , Beschl. v. 19.10.2018 – 11 UF 125/18
Quelle: Ass. jur. Nicole Seier