Familienrecht -

Umgangsrecht gegen den Willen des Kindes?

Die Erzwingung des Umgangs gegen den erklärten Willen eines fast 15-jährigen Kindes gefährdet dessen Wohl, sodass ungeachtet der Ursache der Verweigerungshaltung der Umgang für einige Zeit auszusetzen ist. Das hat das OLG Brandenburg entschieden. Ausschlaggebend ist eine Abwägung aller das Kindeswohl und die Entwicklung des Kindes betreffenden Umstände des Einzelfalls.

Sachverhalt

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist der Umgang eines Vaters mit seiner 14-jährigen Tochter. Aus der Beziehung der nicht miteinander verheirateten Eltern sind zwei Töchter, geboren im Juli 1997 und im Dezember 2000, hervorgegangen. Aufgrund von Sorgeerklärungen üben die Eltern die elterliche Sorge gemeinsam aus. Seit der Trennung der Eltern im Juli 2002 leben die Töchter im Haushalt der Mutter, die inzwischen verheiratet ist und im November 2008 einen Sohn aus dieser Ehe geboren hat.

Vor dem Amtsgericht schlossen die Eltern im August 2006 eine Umgangsvereinbarung, wonach der Vater an jedem ersten und dritten Sonntag eines Monats jeweils von 10 bis 18 Uhr mit der älteren Tochter Umgang hat. Im November 2007 beantragte die Mutter, ihr die elterliche Sorge für die beiden Töchter allein zu übertragen, weil sich die Eltern über den Umgang des Vaters mit den Töchtern nicht einigen könnten. Im November 2008 schlossen die Eltern vor dem Amtsgericht eine Vereinbarung, wonach der Vater mit den beiden Töchtern an jedem Wochenende einer ungeraden Woche von Freitag, 15 Uhr, bis Montagmorgen Umgang hat.

Im vorliegenden Verfahren begehrt der Vater, diese Vereinbarung zu modifizieren, weil es seit dem Wegzug der Mutter mit den Töchtern zu Uneinigkeit über die Gestaltung des Umgangs mit der jüngeren Tochter gekommen ist. Mit dem angefochtenen Beschluss vom Januar 2013 hat das Amtsgericht den Umgang des Vaters mit der jüngeren Tochter genauer geregelt. Dagegen wendet sich die Mutter mit der Beschwerde und trägt zur Begründung vor, dass es zu sexuellen Übergriffen des Vaters auf die Töchter gekommen sei, derentwegen sie Strafanzeige gestellt habe.

Das behandelnde Krankenhaus will bei der jüngeren Tochter eine ausgeprägte depressive Symptomatik mit sozialem Rückzug, Schuldgefühlen, allgemeiner Anspannung und Konzentrationsproblemen festgestellt haben. Aufgrund der Schwere der Symptomatik bestehe eine Behandlungsnotwendigkeit unter vollstationären Bedingungen. Die Tochter zeige ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten ihrem leiblichen Vater gegenüber und einen ausgeprägten Loyalitätskonflikt. Ein Sachverständiger hat im März 2014 die Angaben der Tochter als nicht glaubhaft eingeschätzt, sodass das Ermittlungsverfahren gegen den Vater wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Auf die Beschwerde der Mutter ändert das OLG den Beschluss des Amtsgerichts dahin gehend ab, dass der Umgang des Vaters mit der jüngeren Tochter bis Ende September 2016 ausgesetzt wird. Der Umgang des Vaters mit der Tochter ist für die Dauer eines Jahres auszuschließen, weil andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre.

Gemäß § 1684 Abs. 4 Satz 1 BGB kann das Umgangsrecht eingeschränkt oder ausgeschlossen werden, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Eine Einschränkung, die das Umgangsrecht für längere Zeit oder auf Dauer einschränkt oder ausschließt, kann nur ergehen, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre, § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB. Ein solcher Ausschluss des Umgangs ist nur möglich, wenn er nach den Umständen des Falls unumgänglich ist, um eine Gefährdung der körperlichen oder seelischen Entwicklung des Kindes abzuwenden, und wenn diese Gefahr nicht auf andere Weise ausreichend sicher abgewehrt werden kann.

Die Tochter hat sich wiederholt, zuletzt gegenüber einem Sachverständigen, vehement gegen Umgangskontakte mit dem Vater ausgesprochen. Diese ablehnende Haltung zu Umgangskontakten mit dem Vater ist wiederholt deutlich geworden und liegt als unbestrittene Tatsache der Entscheidung des OLG zugrunde. Aufgrund der Verweigerungshaltung der Tochter ist ein Umgang des Vaters mit ihr zurzeit nicht möglich. Selbst der Vater schätzt dies so ein und befürwortet deswegen eine Fremdunterbringung und therapeutische Begleitung, um einen Umgang wieder anbahnen zu können. Eine Missachtung des Willens der Tochter durch Druck oder Gewalt würde zu einer akuten Kindeswohlgefährdung führen. Eine Regelung des Umgangs gegen den Willen der Tochter kommt daher nicht in Betracht.

Das OLG folgt der Einschätzung des Sachverständigen, wonach das Kindeswohl derzeit nicht durch den Abbruch des Kontakts zum Vater, wohl aber durch einen notwendigerweise gegen den Willen der Tochter zwangsweise angeordneten Umgang konkret gefährdet wäre. Derzeit sei die Tochter stabil, vergnügt und heiter und habe ihr Leben im Griff. Ein Gefährdungspotenzial läge darin, über ihren Willen hinwegzugehen. Die bei ihr entwickelten Auffassungen ließen einen Kontakt zum Vater nicht zu. Sie lebe jetzt mit sich im Frieden; insofern sei keine Gefährdungslage zu sehen. Die Tochter sei zum Umgang nicht zu bewegen.

Vermutlich sei die Tochter nicht in der Lage, die langfristigen Konsequenzen eines Kontaktabbruchs und mögliche negative Folgen dieses Beziehungsverlusts für ihre eigene Persönlichkeitsentwicklung abzuschätzen, und möglicherweise sei ihr Wille beeinflusst. Der Sachverständige vertritt aber nachvollziehbar die Auffassung, dass der Wille des Kindes als zentraler Bestandteil der Subjekthaftigkeit eines jungen Menschen trotz denkbarer Beeinflussungen und Manipulationen herausgearbeitet und in Erfahrung gebracht werden sollte.

Abzuwägen ist, ob die abstrakte, aber nicht zu vernachlässigende Gefahr, die von einem völligen Abbruch des Kontakts zum Vater ausgeht, schwerer wiegt als die konkrete Gefahr, die sich ergibt, wenn man den Umgang gegen den Willen der fast 15-Jährigen durchsetzt. Der Sachverständige ist nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass die Gefahr für die Tochter im Fall einer zwangsweisen Durchsetzung des Umgangs größer ist.

In Konkretisierung von Art. 6 GG hat der Gesetzgeber einen Ausschluss des Umgangs nur unter sehr engen Voraussetzungen zugelassen, nämlich nur dann, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Ein solcher Fall ist hier aber gegeben. Angesichts der ernsthaft geäußerten Ablehnungshaltung eines 14-jährigen Kindes kann ein erzwungener Umgang zu einem größeren Schaden als Nutzen für die Entwicklung des Kindes führen. Dem 14-jährigen Kind in einer so ernsten privaten Angelegenheit wie dem Umgang mit seinem Vater nicht das Recht auf einen freien Willen abzusprechen, ist nachvollziehbar. Angesichts des fortgeschrittenen Alters des Kindes ist es dementsprechend konsequent und unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden, dass die Gerichte von der Anordnung eines – auch begleiteten – Umgangs absehen.

Die Tochter hat ausdrücklich erklärt, ihre Ablehnung des Umgangs mit dem Vater sei nicht von ihrem Umfeld beeinflusst. Auch wenn diese Einschätzung nicht zutreffen sollte, ändert dies nichts daran, dass es zurzeit keinen realistischen Ansatzpunkt dafür gibt, sie zum Umgang mit dem Vater zu bewegen. Vielmehr ist zu befürchten, dass sie in ihrer seelischen Entwicklung Schaden nimmt, wenn man einen Umgang des Vaters mit ihr dennoch anordnet. Letztlich kann dahinstehen, wie es zu ihrer eindeutig ablehnenden Haltung zum Umgang mit dem Vater gekommen ist.

Die Aussetzung des Umgangs sollte aber nur vorübergehend sein, weil sich nicht ausschließen lässt, dass die Tochter auch noch während ihrer Minderjährigkeit zum Umgangskontakt mit dem Vater bereit sein wird. Das OLG vertraut dabei auf die Ausführungen des Sachverständigen, dass es auch in der Situation eines Kontaktabbruchs zwischen Eltern und Kind in der Pubertät manchmal interessante Entwicklungen gebe.

Folgerungen aus der Entscheidung

Der von einem 14-jährigen Kind ausdrücklich geäußerte Wille, den Umgang mit einem Elternteil abzulehnen, wird vom Familiengericht verstanden und dementsprechend umgesetzt. Dann wird ausführlich geprüft, welche Gefahr für das Kindeswohl schwerer wiegt: die abstrakte, aber nicht zu vernachlässigende Gefahr, die von einem völligen Abbruch des Kontakts zu dem Elternteil ausgeht, oder die konkrete Gefahr, die sich ergibt, wenn man den Umgang gegen den Willen eines 14-Jährigen durchsetzt. Nach der Abwägung der Argumente, die mit der Hilfe von Sachverständigen gesammelt werden, kann es als das Kindeswohl gefährdender anzusehen sein, sich über den erklärten Willen eines 14-Jährigen hinwegzusetzen.

Um die Familie jedoch nicht zu lange auseinanderdriften zu lassen, ist die Aussetzung des Umgangs zu befristen. Der Umgang eines Elternteils zu seinem minderjährigen Kind wird ggf. ein Jahr ausgesetzt. In dieser Zeit wird dem Kind die Möglichkeit gegeben, sich zu erholen und die Vergangenheit der Familie mit Hilfe von außen aufzuarbeiten. Gerade wenn es sich in der Pubertät befindet, ist eine solche Befristung zu befürworten. Diese Zeit komplizierter körperlicher und seelischer Veränderungen bei Jugendlichen kann zu positiven Entwicklungen führen.

Praxishinweis

Das Familiengericht kann durch einen befristeten Umgangsausschluss die Familiensituation vorrangig zugunsten des minderjährigen Kindes verbessern, das sich dann in Ruhe auf sich selbst besinnen und über den Umgang mit dem Elternteil nachdenken kann. Zugleich führt eine solche Entscheidung des Familiengerichts aber auch dazu, dass sich der Zustand zwischen den Eltern beruhigt. Über Jahre andauernde Unstimmigkeiten über den Umgang zwischen Eltern und Kind sind dann ausgesetzt, sodass sich sämtliche Beteiligten an dieser Entscheidung orientieren und ein Jahr abwarten müssen.

Gerade wenn der Elternteil den Kontakt zu seinem minderjährigen Kind nicht verlieren will, sollte er ihm die benötigte Zeit für dessen weitere Entwicklung zugestehen. Unabhängig von den Streitigkeiten in den letzten Jahren sollte er ihm die Möglichkeit geben, Abstand zu gewinnen und über das Verhältnis zu seinem Elternteil nachzudenken.

OLG Brandenburg, Beschl. v. 06.10.2015 - 10 UF 57/13

Quelle: Ass. jur. Nicole Seier