Mit dem Wechsel der Obhut über ein minderjähriges Kind während eines Kindesunterhaltsverfahrens entfällt bei gemeinsamer elterlicher Sorge auch die Befugnis, den Unterhalt für das Kind geltend zu machen. Es ist nicht sachgerecht, die Voraussetzungen für einen familienrechtlichen Ausgleichsanspruch erstmals in der Beschwerdeinstanz zu prüfen. Das hat das OLG Hamm entschieden.
Sachverhalt
Die Antragstellerin ist die Tochter der Antragsgegnerin und hatte zunächst im Haushalt ihres Vaters gelebt, der die elterliche Sorge mit der Antragsgegnerin gemeinsam ausübt. Die Antragstellerin hat, vertreten durch ihren Vater, die Zahlung von Kindesunterhalt seit November 2012 begehrt. Durch Beschluss vom 24.02.2015 hat das Familiengericht die Antragsgegnerin zur Zahlung von Unterhalt seit November 2012 verpflichtet. Seit dem 18.09.2015 wohnt die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin.
Der Vater hat erklärt, dass er für die bisherige Antragstellerin in das Verfahren eintrete. Ihm stehe für den Zeitraum von November 2012 bis August 2015 ein familienrechtlicher Ausgleichsanspruch gegen die Antragsgegnerin zu. Die Antragsänderung sei sachdienlich, weil für den familienrechtlichen Ausgleichsanspruch inhaltlich die gleichen Voraussetzungen vorliegen müssten wie für den Unterhaltsanspruch. Hinsichtlich des laufenden Unterhalts sei das Verfahren erledigt.
Wesentliche Aussagen der Entscheidung
Das OLG stellt fest, dass sich das Verfahren für den Zeitraum seit September 2015 erledigt hat, weist den weiter gehenden Antrag aber zurück. Aufgrund des Obhutswechsels der Antragstellerin ist die Vertretungsbefugnis des Vaters entfallen und der Antrag auf Zahlung von Kindesunterhalt unzulässig geworden. Für den Zeitraum seit September 2015 ist die Erledigung eingetreten.
Im vorliegenden Fall unterhalten beide Elternteile getrennte Wohnungen. Da die Antragstellerin jetzt im Haushalt der Antragsgegnerin lebt, besteht zum Vater kein Obhutsverhältnis mehr. Damit ist eine Vertretung durch den Vater nicht mehr zulässig, und zwar insgesamt und ohne zeitliche Einschränkung. Ein Beteiligtenwechsel ist jedenfalls in der Beschwerdeinstanz nicht mehr zulässig.
Die Antragsgegnerin hat ihre Zustimmung zu einem Wechsel auf der Antragstellerseite nicht erteilt. Ob ihre Zustimmung durch die Sachdienlichkeit ersetzt werden kann, kann offenbleiben. Denn jedenfalls ist ein Wechsel auf der Antragstellerseite nicht sachdienlich.
Der familienrechtliche Ausgleichsanspruch, der geltend gemacht werden soll, unterscheidet sich grundlegend von dem Unterhaltsanspruch der Antragstellerin. Die Voraussetzungen sind nicht identisch, sodass ein neuer Sachvortrag erforderlich ist. Insbesondere muss ein Elternteil, der einen familienrechtlichen Ausgleichsanspruch geltend macht, darlegen, dass er die dem anderen Elternteil obliegende Verpflichtung erfüllt hat. Da der betreuende Elternteil i.d.R. keinen Barunterhalt, sondern Naturalunterhalt leistet, bedarf es dazu näherer Darlegungen. Dies gilt i.d.R. auch dann, wenn sich der Ausgleichsanspruch auf den Mindestunterhalt beschränkt. Jedenfalls muss dargelegt werden, dass der Mindestunterhalt in voller Höhe aus eigenen Mitteln aufgebracht wurde.
Aufgrund der Verschiedenheit der beiden Ansprüche ist es nicht sachgerecht, die Voraussetzungen für einen familienrechtlichen Ausgleichsanspruch erstmals in der Beschwerdeinstanz zu prüfen. Für den Vater spricht zwar sein Interesse an einer schnellen Erledigung des Verfahrens. Demgegenüber wiegt es jedoch schwerer, dass die Antragsgegnerin eine Tatsacheninstanz verlieren würde. Für den Zeitraum seit September 2015 ist festzustellen, dass sich das Verfahren erledigt hat. Eine solche Erledigungserklärung kann auch noch in der Beschwerdeinstanz abgegeben werden.
Folgerungen aus der Entscheidung
Infolge eines Obhutswechsels verliert der bisher betreuende Elternteil die Befugnis, den Unterhalt für das minderjährige Kind geltend zu machen. Er muss die Erledigung des bisher von ihm betriebenen Verfahrens beantragen, um der Abweisung seines Zahlungsantrags zu entgehen.
Ob im gleichen Verfahren der familienrechtliche Ausgleichsanspruch geltend gemacht werden kann, ist umstritten. Materiell-rechtlich ist zu bedenken, dass die Voraussetzungen dieses Anspruchs nicht identisch mit denen des bisher verfolgten Unterhaltsanspruchs sind, sodass ein neuer, geänderter Sachvortrag erforderlich ist. Verfahrensrechtlich lehnt das OLG eine Änderung der Anspruchsbegründung in der Beschwerdeinstanz ab, weil dadurch die Gegenseite eine Tatsacheninstanz verlieren würde.
Praxishinweis
Die Folge eines Obhutswechsels des Kindes ist, dass dann der bisher betreuende Elternteil für den Barunterhalt des Kindes gem. § 1603 Abs. 2 BGB einzustehen hat und daher einer verschärften Erwerbsobliegenheit unterliegt.
OLG Hamm, Beschl. v. 14.04.2016 – 6 UF 54/15
Quelle: Richter am Amtsgericht a.D. Dr. Wolfram Viefhues