Schuldet ein Vater einem minderjährigen Kind Unterhalt, kann ihm im Rahmen seiner gesteigerten Erwerbsobliegenheit ein fiktives monatliches Nettoeinkommen zugerechnet werden. Bei einer ungelernten Arbeitskraft kann nach einer Entscheidung des OLG Hamm ein fiktives Einkommen von über 1.300 € angenommen werden, wenn der Vater bei einer früheren Beschäftigung ein derartiges Einkommen erzielt hat.
Darum geht es
Der im Jahre 1985 geborene Antragsgegner aus Marl ist der Vater der im April 2013 geborenen Antragstellerin. Mit der im Jahre 1985 geborenen Kindesmutter aus Marl, die die Antragstellerin betreut, lebt der Vater seit Juli 2015 nicht mehr in einem Haushalt zusammen. Der Antragsteller hat den Hauptschulabschluss nach der Klasse 10 erworben. Eine im gärtnerischen Bereich begonnene Berufsausbildung hat er abgebrochen, zeitweise bei unterschiedlichen Zeitarbeitsfirmen gearbeitet und in einer Autowäsche für einige Monate monatlich über 1.300 € netto verdient.
Diese Arbeitsstelle verlor er - nach eigenen Angaben schuldlos - im Herbst des Jahres 2014 und ist seitdem arbeitslos. Mittlerweile bezieht er Leistungen nach dem SGB II. Die Antragstellerin begehrt Kindesunterhalt. Diesen hat ihr das Familiengericht Marl für die Zeit ab September in Höhe von monatlich 236 € zugesprochen, berechnet nach einem fiktiven Einkommen des Antragsgegners.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Familiengerichts Marl hat der 2. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm zurückgewiesen.
Zu Recht habe das Familiengericht, so der Senat, dem Antragsgegner ein fiktives Einkommen angerechnet, das die Zahlung des begehrten Kindesunterhalts ohne Gefährdung seines notwendigen Selbstbehalts zulasse.
Eltern seien gegenüber minderjährigen, unverheirateten Kindern verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden (sog. gesteigerte Unterhaltspflicht). Seine eigene Arbeitskraft habe der unterhaltspflichtige Elternteil einzusetzen. Unterlasse er dies, könnten auch fiktiv erzielbare Einkünfte berücksichtigt werden, wenn der unterhaltspflichtige Elternteil eine reale Beschäftigungschance habe.
Dabei habe der Unterhaltspflichtige das Fehlen der Beschäftigungschance darzulegen und zu beweisen. Für gesunde Arbeitnehmer im mittleren Erwerbsalter gelte insoweit selbst in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit regelmäßig kein Erfahrungssatz, nach welchem sie auch als ungelernte Kräfte nicht in eine vollschichtige Tätigkeit zu vermitteln seien. Unter Einsatz aller zumutbaren und möglichen Mittel habe sich der Unterhaltspflichtige nachhaltig darum zu bemühen, eine angemessene Vollzeittätigkeit zu finden.
Die bloße Meldung bei der Agentur für Arbeit genüge nicht. Ebenso nicht, wenn sich der Unterhaltspflichtige lediglich auf die vom zuständigen Jobcenter unterbreiteten Stellenangebote bewerbe. Er müsse nachprüfbar vortragen, welche Schritte er im Einzelnen in welchem zeitlichen Abstand unternommen habe, um eine Erwerbsmöglichkeit zu finden.
Im vorliegenden Fall habe der Antragsgegner offensichtlich keine Erwerbsbemühungen entfaltet. Dazu fehle jeglicher Vortrag. So könne nicht festgestellt werden, dass der Antragsgegner das vom Familiengericht geschätzte monatliche Nettoeinkommen von über 1.300 € nicht erzielen könne. Bei seiner Tätigkeit in einer Autowäsche habe er dieses Einkommen tatsächlich für einige Monate erhalten.
Durchgreifende Gründe dafür, dass der Antragsgegner bei ausreichenden Bemühungen ein solches Nettoeinkommen inklusive Überstundenvergütung nicht wieder erzielen könnte, habe er nicht benannt. Zudem komme die Aufnahme einer Nebentätigkeit in Betracht, wenn der Antragsgegner den Kindesunterhalt nicht mit dem aus einer Haupterwerbstätigkeit erzielbaren Einkommen sicherstellen könne. Auch darauf habe bereits das Familiengericht zu Recht hingewiesen.
OLG Hamm, Beschl. v. 23.12.2015 - 2 UF 213/15
Quelle: OLG Hamm, Pressemitteilung v. 16.02.2016